Energiesprong – neuer Mantel für alte Häuser

Wie ein neuartiges Konzept aus den Niederlanden die Altbau-Sanierung in Österreich revolutionieren könnte.

Die Elemente für eine neue Gebäudehülle werden vorgefertigt.
©energiesprong.fr

Die Elemente für eine neue Gebäudehülle werden vorgefertigt.

Etwa 10 Prozent der CO2-Emissionen in Österreich stammen von Gebäuden. Das sind rund 8 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr, die durch Heizungs- und Warmwasserbereitungsanlagen verursacht werden. Davon haben Wohngebäude mit rund 7 Millionen Tonnen den größten Anteil. Entsprechend groß ist das Einsparpotenzial im Gebäudesektor.

Für den Klimaschutz ist die energetische Gebäudesanierung von entscheidender Bedeutung. Um die zu beschleunigen, ist in den Niederlanden das Energiesprong-Prinzip entwickelt worden. Energiesprong heißt auf Deutsch Energiesprung. Statt in langwieriger Handarbeit einzelne Dämmplatten anzubringen, wird das Haus mit einer Hülle aus vorgefertigten Elementen ummantelt. Die maßgeschneiderten Elemente werden per Tieflader zum Haus transportiert und wie eine neue Außenhaut über die alte Gebäudehülle gelegt. Dazu kommen standardisierte Haustechnikmodule wie eine Photovoltaikanlage oder ein Wohnraumlüftungssystem mit Wärmerückgewinnung und Wärmepumpe. Im Vergleich zu herkömmlichen Sanierungen dauern die Bauarbeiten nur wenige Wochen. Nach der Sanierung erzeugt das Gebäude über das Jahr gerechnet so viel Energie für Heizung, Warmwasser und Strom, wie es selbst verbraucht.

Diplom-Ingenieur Armin Knotzer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am AEE - Institut für Nachhaltige Technologien in Gleisdorf bei Graz

Diplom-Ingenieur Armin Knotzer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am AEE - Institut für Nachhaltige Technologien in Gleisdorf bei Graz

Armin Knotzer (49) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Gebäude am AEE - Institut für Nachhaltige Technologien in Gleisdorf bei Graz. Im Interview mit MEIN LEBEN erklärt der Diplom-Ingenieur, weshalb das Energiesprong-Verfahren einen Quantensprung darstellt und wie man dieser klimafreundlichen Sanierungsmethode auch in Österreich zum Durchbruch verhelfen könnte.

Herr Knotzer, Tut Österreich bei Gebäuden genug für den Klimaschutz?
Österreich hinkt schon ein großes Stück hinterher, was die Sanierung von schlecht gedämmten Immobilien anbelangt. Aus Klimaschutzaspekten ist das ein großes Problem.

Im Wohnungsbau kommen Fertigelemente seit Jahrzehnten zum Einsatz. Was ist nun das Neuartige?
Das Revolutionäre an diesem Konzept ist das Sanierungstempo. Es ermöglicht eine große Anzahl an Gebäuden innerhalb kurzer Zeit zu sanieren. Diese Methode ist in den Niederlanden vor etwa zehn Jahren entwickelt worden mit dem Ziel, mehrere Tausend Reihenhäuser innerhalb weniger Jahre zu sanieren. Und das haben die Niederländer auch hinbekommen.

Neue Fassade für ein Sanierungsobjekt
©energiesprong.org

Neue Fassade für ein Sanierungsobjekt

Und wie?
Mit der Vorfertigung ganzer Fassaden erreicht man ein viel höheres Sanierungstempo. Bei einer herkömmlichen Fassadensanierung hingegen entsteht auf der Baustelle viel Aufwand durch kleinteilige Handarbeit. Mit dem Energiesprong-Verfahren kann man die Bauzeit um Monate verkürzen. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Häuser während der Arbeiten bewohnt bleiben können. Das spart Zeit und Geld.

Ist das niederländische Energiesprong-Konzept auf Österreich übertragbar?
Grundsätzlich ist es auf jedes Land übertragbar, gegebenenfalls mit kleineren Anpassungen an die lokalen Begebenheiten. Das niederländische Konzept ist auf einen bestimmten Gebäudetyp zugeschnitten, nämlich auf Reiheneinfamilienhaus-Siedlungen aus den Nachkriegsjahren. In Österreich haben wir dagegen Mehrfamilienhäuser aus dieser Zeit, also aus den 1950er bis 1970er-Jahren. Diese machen hierzulande etwa ein Drittel des gesamten Wohnungsbestandes aus. Mehrfamilienhäuser mit Mietwohnungen eignen sich gut für diese Art von Sanierung.

Wie hilft das Energiesprong-Konzept dem Klimaschutz?
Nach der Sanierung haben Sie ein sogenanntes Null-Energie-Haus. Das Haus verbraucht über das ganze Jahr betrachtet so viel Energie wie es selbst produziert. Eine Photovoltaikanlage auf dem Dach verwandelt das Haus in ein kleines Kraftwerk.
Das geht weit über den in Österreich derzeit gesetzlich vorgeschriebenen Standard für energetische Sanierungen hinaus. Meist ist man schon froh, den Energieverbrauch von alten Häusern halbieren zu können. Energiesprong ist ein Quantensprung.

Eine Sanierung nach dem Energiesprong-Prinzip ist in der Regel schneller fertig als bei einer herkömmlichen Fassadendämmung. Fallen die Investitionskosten entsprechend niedriger aus?
Nein, denn vorgefertigte Fassaden sind in der Anschaffung teuer, sie kosten etwa das Doppelte. Die anderen Elemente wie das neue Dach mit Photovoltaikanlage und das Heizsystem, in der Regel ein Wärmepumpenheizsystem, kosten hingegen nicht mehr. Unter dem Strich muss man mit 20 bis 30 Prozent höheren Investitionskosten rechnen.

Nach wie vielen Jahren zahlt sich die Investition aus?
Das ist schwer zu sagen, denn die Einsparungen hängen von verschiedenen Faktoren ab, von den staatlichen Zuschüssen, den Material- und Lohnkosten und von der Lebensdauer der Investition. Eine wichtige Rolle spielen natürlich die Energiekosten. Wenn diese weiter so stark ansteigen, dann wird die Amortisationsschwelle schneller erreicht, weil man ja nach der Sanierung auf Heizöl oder Gas verzichten kann.

Wäre es trotzdem nicht sinnvoller, die alten Häuser abzureißen und neue aufzubauen?
Vor jeder Sanierung braucht es eine gründliche Bestandsaufnahme der Liegenschaft. Es wird also geprüft, in welchem Zustand die Bausubstanz ist, ob die Tragfähigkeit des Fundaments und der Bauteile noch in Ordnung ist, wie viel im Innenbereich zu erneuern wäre und so weiter. Eine solche Bestandsanalyse kann durchaus ergeben, dass sich ein Abriss lohnen würde. Sinnvoll ist es aber in vielen Fällen sicherlich nicht, alleine schon mit Hinblick auf die Kreislaufwirtschaft und Wiederverwendung von Ressourcen.

Lohnt sich eine solch aufwändige Sanierung auch für ein Einfamilienhaus?
Für Wohnungsunternehmen, die Mehrfamilienhäuser bewirtschaften, lohnt sich eine solche Sanierung am meisten, weil durch die hohe Stückzahl an vorgefertigten Fassaden die Sanierungskosten pro Objekt tiefer liegen.

In Österreich gibt es, im Gegensatz etwa zu Deutschland, noch kein Energiesprong-Pilotprojekt. Woran liegt das?
Hätten wir in Österreich die gleichen gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für diese Art von Gebäudesanierung wie in den Niederlanden oder Deutschland, sähe das anders aus …

Wie müssten die Rahmenbedingungen aussehen, um Energiesprong auch in Österreich zum Durchbruch zu verhelfen?
Als Starthilfe müsste der Staat viel mehr Geld in die Hand nehmen. In den Niederlanden waren es zu Beginn etwa 45 Millionen Euro, um diese Initiative anzuschieben. Dieses Geld wurde zur Unterstützung einerseits von Bauträgern und andererseits von Bauunternehmen gebraucht, damit diese ihre Kapazitäten ausweiten konnten.
Für die Vorfertigungsprozesse mussten neue Produktionsstraßen oder Fabriken aufgebaut werden. Eine solche Anschubfinanzierung wäre auch in Österreich sinnvoll, um die dafür notwendigen Produktionskapazitäten zu schaffen.
In den Niederlanden bekommen Energiesprong-Häuser für den selbst produzierten Strom am Hausdach eine im Vergleich zu Österreich hohe Vergütung. Jede Kilowattstunde, die ins Stromnetz eingespeist oder selbst verbraucht wird, wird mit 18 bis 22 Cent/kWh vergütet. In Österreich bekommt man dafür lediglich 4 bis 5 Cent pro kWh.

Ein staatliches Förderprogramm könnte die Nachfrage ankurbeln und folglich auch das Angebot. Wie hoch schätzen Sie das wirtschaftliche Potenzial hierzulande ein?
Das Marktvolumen schätze ich als sehr groß ein. Jährlich gibt es Tausende Liegenschaften, die dringenden Sanierungsbedarf haben. Österreich hat zwar viel gemacht, ich denke hier vor allem die gemeinnützigen Wohnbauträger. Insgesamt betrachtet sind wir noch weit davon entfernt, Klimaneutralität bei Gebäuden zu erreichen. Ohne technische Innovationen wie serielle Sanierungen ist das definitiv nicht zu schaffen. Ein auf Österreich zugeschnittenes Energiesprong-Konzept wäre zweifellos ein wirksames Instrument, um den Klimaschutz im Wohnbereich voranzutreiben.

 

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