Die Eltern pflegen:
So kann der Rollentausch gemeistert werden

Die Eltern daheim zu pflegen bedeutet meist für beide Seiten eine drastische Lebensumstellung. So gelingt der Rollentausch ohne Überforderung.

Pflege daheim: Wenn Kinder ihre Eltern im Alter pflegen, kehren sich die Rollen um – für beide Seiten kein einfacher Schritt.

Pflege daheim: Wenn Kinder ihre Eltern im Alter pflegen, kehren sich die Rollen um – für beide Seiten kein einfacher Schritt.

Die Eltern zu pflegen, markiert häufig das Ende der eigenen Kindheit. Denn auch im Erwachsenenalter bleibt ja zunächst das gewohnte Rollenverhältnis bestehen: Die Töchter und Söhne gehen ihren Weg, gründen ihre eigene Familie, aber mit Mutter und Vater bleiben immer Reste der alten Eltern-Kind-Gefühle erhalten. Man kehrt heim ins Elternhaus, erlebt dort die Fürsorge der Mutter und die Ratschläge des Vaters. Das kann – je nach Beziehung – konfliktreich sein oder auch erholsam. Im günstigsten Fall bleibt dieses Eltern-Kind-Gefühl ein Leben lang.

Wenn jedoch ein Elternteil oder sogar beide pflegebedürftig werden, scheint auf einmal alles auf den Kopf gestellt. Jetzt übernehmen die Kinder die Verantwortung und die Eltern sind die Schutzbedürftigen. In Österreich sind mehr als zehn Prozent der Menschen mit dieser Aufgabe konfrontiert. Rund 947.000 Österreicher kümmern sich privat um die Pflege von Angehörigen. Das Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz (BMASGK) schätzt, dass davon 801.000 die Pflegebedürftigen zu Hause betreuen. Weitere 146.000 Angehörige sind in der stationären Langzeitpflege eingebunden. Meist sind es Frauen (73 Prozent), die ihre Angehörigen daheim pflegen. Ihr Anteil in der stationären Langzeitpflege liegt bei 63 Prozent.

Häusliche Pflege: Herzensangelegenheit mit Fallstricken

Häusliche Pflege ist dabei mehr als nur eine Pflicht. Vielen Menschen ist es ein Herzensanliegen, einen Angehörigen daheim zu pflegen. „Als meine Kinder noch klein waren, war meine Schwiegermutter immer eine große Unterstützung. Nun liegt es an mir, sie zu unterstützen. Mit meiner Pflege möchte ich ihr etwas zurückgeben“, berichtet beispielsweise Maria Dachsberger aus Ruprechtshofen. Zu erleben, wie sehr ein hilfsbedürftiger Mensch aufblüht, wenn er sich in seiner vertrauten Umgebung von einer ihm nahestehenden Person umsorgt fühlt, wird von pflegenden Angehörigen als bereichernd empfunden. Dem Pflegebedürftigen selbst kann dies zusätzliche Energie geben. Aber auch der helfende Angehörige erfährt, wie er aus der daraus entstehenden Beziehung neue Kraft zu schöpfen vermag. Unscheinbare Details, wie ein dankbarer Blick oder wenn man etwa gemeinsam miteinander lacht, werden auf einmal zu Kostbarkeiten. Solche Momente werden als zutiefst sinnstiftend und erfüllend beschrieben, die die Beziehung zum pflegenden Elternteil vertiefen.

Gleichzeitig ist der Rollentausch im Pflegefall für viele eine Umstellung, die zur Belastung und zur Überforderung werden kann. Dies gilt für beide Seiten. Denn auch pflegebedürftige Eltern leiden unter dem ungewohnten Gefühl von Hilflosigkeit und dem Verlust von Unabhängigkeit. Und die pflegenden Kinder müssen lernen, die neue Verantwortung für ihre Eltern mit ihrem eigenen Leben in Einklang zu bringen. Das klingt so anspruchsvoll wie es ist. Die Journalistin und Pflegeexpertin Martina Rosenberg hat über ihre Erfahrungen einen Bestseller geschrieben: „Mutter, wann stirbst du endlich? Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird“ (erschienen bei Blanvalet). Am Anfang stand der schöne Traum, die Eltern zu Hause alt werden zu lassen, damit sie gemeinsam mit der Enkelin in einem Mehrgenerationenhaus leben können. „Für unsere Tochter war es toll, dass sie einfach runtergehen konnte zu Oma und Opa. Man hilft sich ja auch“, sagt Rosenberg.

Zerreißprobe häusliche Pflege

Die verbleibende Zeit genießen: Pflege ist harte Arbeit. Aber sie ermöglicht auch, die Beziehung zu den Angehörigen wieder zu intensivieren.

Die verbleibende Zeit genießen: Pflege ist harte Arbeit. Aber sie ermöglicht auch, die Beziehung zu den Angehörigen wieder zu intensivieren.

Als Rosenbergs Mutter jedoch dement wurde und der Vater in schwere Depressionen fiel, kippte der Plan. „Von harmonischem Zusammenleben war keine Rede mehr, die Nähe wurde zur Belastung“, berichtet Rosenberg. Als ihre Mutter noch mitbekam, wie sehr die Krankheit sie veränderte, war sie todunglücklich und äußerte häufig, sterben zu wollen. Auch ihr Vater konnte die Traurigkeit in den Augen seiner Frau immer schwerer ertragen. Rosenbergs eigene Familie hatte unter ständiger Unruhe zu leiden und der Aggressivität, zu der die demente Mutter zunehmend neigte. Irgendwann erschrak Martina Rosenberg über ihre eigenen verzweifelten Gefühle.

Heute weiß Rosenberg: Häusliche Pflege kann gelingen, wenn man dabei auch auf sich selbst achtet. Um anderen zu helfen, hat sie deshalb nicht nur ihre Erlebnisse in einem Buch verarbeitet, sondern auch ein Internetportal für pflegende Angehörige gegründet: www.pflege.pro. Hier versucht sie, möglichst passgenaue Antworten für die unterschiedlichen Lebensumstände ratsuchender Angehöriger und deren Familien zu bieten.

Wer pflegt, ist nicht allein

Das Beispiel von Familie Rosenberg zeigt, wie wichtig es ist, gut informiert und mit realistischen Erwartungen die häusliche Pflege anzugehen. Dazu gehört auch, sich nötige Unterstützung zu holen. Denn wer daheim pflegt, arbeitet schließlich rund um die Uhr. Eine gute Übersicht über Unterstützungsmöglichkeiten bietet eine Informationsseite des Bundessozialministeriums, sowie die Broschüre „Unterstützungen für pflegende Angehörige 2019“. Fachliche Beratung bieten dir der kostenlose Hausbesuch für Bezieher eines Pflegegeldes durch das Kompetenzzentrum „Qualitätssicherung in der häuslichen Pflege“. Hier erhältst du Infos rund um das Thema Pflege sowie praktische Pflegetipps. Solltest du merken, dass die häusliche Pflege dich zu überfordern droht oder wenn du einfach nicht sicher bist, wie du dich richtig verhältst, kannst du bei der Kompetenzstelle auch um ein kostenloses Angehörigengespräch bitten und mit einem Psychologen oder Sozialarbeiter über deine Probleme sprechen, um die Pflegesituation zu verbessern. Dabei ist es wichtig, dass du ein Gespür für deine eigenen Grenzen entwickelst, um rechtzeitig Hilfe zu holen. Achte also nicht nur auf die Bedürfnisse der Person, die du pflegst, sondern auch auf deine eigenen. Binde Freunde oder weitere Familienmitglieder ein, um dir regelmäßige Auszeiten nehmen zu können, um dich zu erholen.

Um die häuslichen Pflegeaufgaben mit deinem Beruf vereinbaren zu können, gibt es die Möglichkeiten von Pflegekarenz, Pflegeteilzeit, Familienhospizkarenz bis Familienhospizteilzeit, für die du beim Sozialministeriumsservice ein Pflegekarenzgeld beantragen kannst. Es wird einkommensabhängig entsprechend des Arbeitslosengeldes gezahlt. Außerdem fördert das Sozialministerium eine notwendige professionelle 24-Stunden-Betreuung in Privathaushalten durch Zuschüsse. Auch privat kannst du vorsorgen: Um im Fall einer unvorhergesehenen Pflegedürftigkeit auch finanziell gut abgesichert zu sein, bietet der Pflegebaustein im Rahmen der Risikovorsorge Sofortschutz:Leben[1] von Wüstenrot eine schnelle und unbürokratische Auszahlung. Es gibt also eine Reihe von Möglichkeiten und Hilfestellungen, durch die du die Belastungen durch die häusliche Pflegesituation zu einer Gelegenheit machen kannst, in der die ganze Familie auf neue Weise füreinander da sein kann. Wer pflegt, ist nicht allein – wer Pflege benötigt, auch nicht.