Nunu Kaller:
Die, die nicht mehr mitmacht

Nunu Kaller verzichtet freiwillig auf Konsum. Ihr Kleiderschrank ist nicht mehr übervoll wie früher, Freude an schönen Kleidern hat sie aber immer noch.

Fröhlich und selbstbestimmt: Nunu Kaller hat durch den Verzicht gelernt, ihre Bedürfnisse wieder stärker wahrzunehmen.
© Wüstenrot/marcelkoehler.com

Fröhlich und selbstbestimmt: Nunu Kaller hat durch den Verzicht gelernt, ihre Bedürfnisse wieder stärker wahrzunehmen.

„Ich habe am Tag tausend Ideen. Und hin und wieder ist eine zündende dabei, die wirklich sinnvoll ist.“ Nunu Kaller sagt das ziemlich selbstbewusst. Und natürlich, das darf sie auch. Nicht zuletzt, weil die Wienerin sich diese Stärke selbst erarbeitet hat. Nunu Kaller, Konsumenten-Sprecherin bei Greenpeace, hat bereits zwei Bücher mit deutlichen Botschaften auf den Markt gebracht: „Ich kauf nix“ (2013) und „Fuck Beauty“ (2018). „Mein freiwilliger Verzicht auf Konsum und ein anderer Blick auf das, was Schönheit ist und sein soll, haben mein Leben radikal verändert“, sagt Kaller. Im Selbsttest hat sie erfahren, dass es sich lohnt, ausgetretene Pfade zu verlassen.

Ihr Telefon klingelt, wieder einmal. Die 37-Jährige jongliert gekonnt mit Terminen und Anfragen. Für sie ist der Vollzeitjob bei der Umweltschutzorganisation eine Herzensangelegenheit, weil sie hier etwas bewegen kann. „Dass ich diese Stelle bekommen habe, hängt eng mit meinem Experiment zusammen, nämlich einfach ein Jahr lang nicht mehr einkaufen zu gehen und die Fast-Fashion-Industrie zu boykottieren“, berichtet Kaller und führt aus: „Als ich vor fünf Jahren die Stellenanzeige gelesen habe, war ich thematisch einfach hochgradig eingearbeitet  und habe den Job bekommen.“

Nichts mehr kaufen, gar nichts

Dem Voraus ging ein rigoroser Selbstversuch: ein Jahr ohne neue Hosen, T-Shirts, Ohrringe, Schuhe. „Auslöser für meine Shopping-Diät war ein Streit mit meinem damaligen Freund. Der hat mir vorgeworfen, inkonsequent zu sein. Ich habe ihm gezeigt, dass er Unrecht hat und ein Jahr nichts Neues gekauft“, berichtet Kaller. Als erstes flogen vor dem Kleiderschrank die Fetzen: „Ich habe alles ausgeräumt und einfach gezählt. Das war Wahnsinn, ich hatte allein 34 Mäntel und Jacken. Ich war schockiert“, berichtet die studierte Publizistin, die damals schon bei einer Nichtregierungsorganisation arbeitete. „Bei so vielen Sachen, die ich schon besaß, fiel es mir nicht schwer, nicht noch etwas hinzuzukaufen“, sagt sie.

Eigener Antrieb: In der Stadt steigt Nunu Kaller aus Überzeugung lieber auf den Tretroller oder aufs Rad statt ins Auto.
© Wüstenrot/marcelkoehler.com

Eigener Antrieb: In der Stadt steigt Nunu Kaller aus Überzeugung lieber auf den Tretroller oder aufs Rad statt ins Auto.

„Ich war nie der Öko-Fundi“, meint Kaller, die als jüngstes Kind mit zwei Brüdern aufgewachsen ist. „Meine Eltern waren bei weitem keine Hippies, eher das Gegenteil. Aber sie haben mich beispielsweise erzogen darauf zu achten, regionales und saisonales Obst und Gemüse zu kaufen. Und wenn ich in den Supermarkt gegangen bin, hat mir meine Mutter schon als Kind eine Tasche mitgegeben, damit ich kein Plastiksackerl zu kaufen brauchte“, erinnert sich Kaller, die schon immer nach Möglichkeit auf das Auto verzichtet hat und mit dem Rad zur Arbeit fährt. Heute hat sie ihren Tretroller dabei.

Shopping als eine Art Droge

„Bei Textilien hatte ich allerdings einen blinden Fleck, da habe ich nicht nachgedacht“, gibt die dynamische Frau zu, die heute auch zertifizierte CSR-Beraterin (Corporate Social Responsibility) ist, also Unternehmen zum Thema Nachhaltigkeit und gesellschaftlicher Verantwortung beraten kann. Irgendwann begann sie sich zu fragen, woher ihre Kleidung eigentlich kommt. „Das Thema hat mich plötzlich regelrecht gepackt, ich habe nur noch Sachbücher gelesen und Studien, bei denen ich früher auf der zweiten Seite eingeschlafen wäre, förmlich inhaliert“, erzählt sie. Und was sie über die Textilproduktion in Asien las, weckte Nunu Kallers ausgeprägten Gerechtigkeitssinn: „Es fällt mir bis heute nicht schwer, auf in Massenproduktion hergestellte Kleidung zu verzichten. Ich will nicht, dass eine Näherin irgendwo am anderen Ende dafür leidet, weil ich heute ein blaues und morgen ein grünes Oberteil anziehen möchte“, sagt Kaller sehr bestimmt.

Bewusster shoppen: Früher ging Nunu Kaller einkaufen, um sich abzulenken. Heute kauft sie nur ausgewählte Stücke.
© Wüstenrot/marcelkoehler.com

Bewusster shoppen: Früher ging Nunu Kaller einkaufen, um sich abzulenken. Heute kauft sie nur ausgewählte Stücke.

Dabei war Shoppen gehen für Nunu Kaller einst mehr als liebgewordene Gewohnheit. Es war ein Ausweg, wenn auch einer, der sie in eine Sackgasse führte: „Wenn ich Stress hatte und Dinge passiert sind, über die ich nicht zu viel nachdenken wollte, bin ich einfach in den nächsten Textildiscounter. Das hat mich regelrecht betäubt“, erinnert sie sich. Als diese Ablenkung keine Option mehr war, setzte sich Nunu Kaller schließlich ihren eigentlichen Problemen auseinander. „Dass meine Mutter an Krebs erkrankt war, konnte ich nicht mit Ramsch wegkaufen. Und ich wollte das auch nicht mehr. Ich habe mich meiner Angst in Gesprächen mit Freunden viel besser stellen können als in der Umkleidekabine“, erzählt sie.

Kosumkritik eröffnet Perspektiven

„Es hat mich erschreckt, wie unfassbar viel Gift für unsere billigen Klamotten in die Umwelt gepustet wird und welch schlechte Löhne Menschen für die Produktion erhalten“, meint Kaller. „Das Thema hat mir die Augen geöffnet, weit über diese katastrophalen Zustände hinaus. Ich schaue hin und kann es gar nicht fassen, was Konsum mit jedem Einzelnen von uns macht.“

„Fuck Beauty“: Das neue Buch von Nunu Kaller rechnet mit falschen Schönheitsidealen ab.
© Wüstenrot/marcelkoehler.com

„Fuck Beauty“: Das neue Buch von Nunu Kaller rechnet mit falschen Schönheitsidealen ab.

Ein Erschrecken, das Nunus Perspektiven verschoben hat und sie zu neuen Erkenntnisse führt. „Mein Buch ‚Fuck Beauty‘ entstand, weil ich meinen Strandurlaub mit dem Gefühl verplempert habe, in meinem Bikini viel zu unförmig zu sein. Ich habe die wunderschöne Umgebung gar nicht wahrnehmen können – das ist doch verrückt!“, berichtet Nunu. Nach dieser Erfahrung begann sie, sich in das Thema Körperwahrnehmung einzulesen. „Ich bin groß und nicht gertenschlank, aber ich bin gut so, wie ich bin“, sagt sie heute. „Wenn ich etwas esse, dann will ich das nicht mit schlechtem Gewissen tun.“ Der Abschied vom Schönheitsideal ist für Kaller logische Folge eines bewussteren Konsums. Für sie ist klar: „Die Industrie hat Interesse daran, Frauen ein Ideal vorzugaukeln, das sie nicht erreichen können. Aber sie können viel Geld dafür ausgeben, ihm vergebens hinterherzujagen.“

Neu denken kann glücklich machen

Spaß an Kleidung hat sie aber weiterhin, zum Beispiel auf Tauschpartys. „Da bringt dann jede mit, was ihr nicht gut passt oder gefällt und andere glücklich machen kann“, berichtet Nunu Kaller, die gelegentlich ihre Kleidung auch selbst näht. „Es gibt so viele kleine Ideen, die gar nichts mit freudloser Enthaltsamkeit zu tun haben. Jemand, der unbedingt online shoppen möchte, kann das auch bei Labels tun, die ökologisch und ökonomisch fair produzieren. All das sind keine großen Schritte, aber sie können unsere Tage sinnvoller und schöner machen“, sagt Nunu Kaller und zeigt auf ihr schwarzes T-Shirt. „Das hat mal einer meiner besten Freundinnen gehört. Wenn ich es jetzt trage, habe ich das schöne Gefühl, meine Freundin begleitet mich durch den Tag.“ Auch shoppen geht sie heute wieder, mit Vorliebe stöbert sie dabei in Second-Hand-Läden.

Kein Fast Fashion: Nunu Kaller in ihrem Lieblings-Secondhand-Laden Zweitkleid (www.zweitkleid7.at) von Inhaberin Martina Brückl
© Wüstenrot/marcelkoehler.com

Kein Fast Fashion: Nunu Kaller in ihrem Lieblings-Secondhand-Laden Zweitkleid (www.zweitkleid7.at) von Inhaberin Martina Brückl

Mittlerweile ist sie eine richtige Shoppingberaterin. „Meine Freunde wollen von mir wissen, wo sie etwas nachhaltig Produziertes kaufen können oder auch, was ich zu einigen Beautytipps zu sagen habe. Dass ich andere inspiriere, ist toll und macht mich auch demütig und dankbar“, sagt Kaller, die sicher ist, bald wieder eine Intuition für ein nächstes Projekt zu haben. „Ich weiß, da kommt mal wieder was. Ich lasse mich überraschen“, strahlt Nunu Kaller und macht sich auf zu ihrem nächsten Termin.

Diese Tipps helfen dir zu einem bewussteren Konsum:

  1. Informiere dich: Für Nunu Kaller war das Wissen um die Produktionsbedingungen ausschlaggebend für ihr Umdenken. Informiere dich über Fast Fashion, zum Beispiel bei Greenpeace. Dort findest du unter anderem einen Textil-Siegel-Check, der über die Fashion-Produktion aufklärt und über die Siegel informiert. 
  2. Shoppe nachhaltig: Es gibt zahlreiche Marken, die auf eine nachhaltige Produktion achten. Die meisten kann man sogar online shoppen. Eine Übersicht findest du auf utopia.de. Zudem kannst du in Secondhand-Läden oder auf dem Flohmarkt stöbern und tolle Einzelstücke entdecken.
  3. Kaufe nichts unbedacht, sondern frage dich, ob du den neuen Kopfhörer oder das Kleid wirklich brauchst. Umso größer wird die Freude sein, wenn du dich bewusst für eine Sache entscheidest.
  4. Do-It-Yourself macht Spaß: Hol die Nähmaschine oder die Stricknadeln hervor und mach dir deine Kleidung einfach selber. Kurse für Anfänger und Fortgeschrittene finden sich fast überall. Auch gebrauchte Kleidungsstücke kannst du auf diesem Weg aufwerten. Inspirationen dazu liefert Marisa Lynch von newdressaday.com.
  5. Veranstalte eine Tauschparty: Jede und jeder bringt mit, was seinen Kleiderschrank verstopft und darf dafür etwas anderes Schönes mit nach Hause nehmen.