Para-Leichtathlet Matzinger:
„Ich will nach der Sportkarriere durchstarten“

Wüstenrot Sportler Günther Matzinger hat alle wichtigen Titel gewonnen. Im Gespräch mit MEIN LEBEN verrät er, was ihn antreibt, was seine nächsten Ziele sind und was er für die Zeit nach 2020 plant.

Die angeborene Dysmelie treibt Matzinger an: „Als Kind mit physischer Behinderung glaubt man wahrscheinlich, das irgendwie überkompensieren zu müssen“, meint der zweifache Paralympicssieger.
Foto: Günther Matzinger

Die angeborene Dysmelie treibt Matzinger an: „Als Kind mit physischer Behinderung glaubt man wahrscheinlich, das irgendwie überkompensieren zu müssen“, meint der zweifache Paralympicssieger.

Herr Matzinger, herzlichen Glückwunsch zum EM-Titel über 400 Meter bei den Para-Europameisterschaften in Berlin. Wie wichtig war dieser Titel für Sie?

Im heurigen Jahr war es der größte und wichtigste Wettkampf, deswegen war die Freude groß. Für mich war der Titel auch deshalb besonders wichtig, weil es der dritte Anlauf war. 2014 bin ich nur Zweiter geworden, weil ich wegen eines Bandscheibenvorfalls nicht in Topform war. Und 2016 in Italien habe ich über 400 Meter einen Fehlstart provoziert und wurde disqualifiziert. Deswegen war es eine große Erleichterung, dass es jetzt mit dem Titel geklappt hat.

Sie haben jetzt zweimal olympisches Gold, zwei Weltmeister-Titel und den EM-Titel geholt. Was kommt als Nächstes?

Das nächste große Highlight sind die Paralympics 2020 in Tokio. Ich habe im vergangenen Jahr mit Triathlon begonnen und will mich über diese Disziplin für Tokio qualifizieren und in der Weltspitze Fuß fassen. Ob ich dann trotzdem die 400 Meter laufe, ist noch offen. Ich bin ja eher der Ausdauer-Typ und beim Triathlon habe ich die Chance, auf die längere Strecke zu gehen.

Sie wechseln noch einmal die Disziplin?

Ja. Ich war letztes Jahr lange verletzt, hatte Probleme mit der Achilles-Sehne. Notgedrungen bin ich deshalb viel geschwommen. Das brachte mich auf die Idee, Triathlon auszuprobieren. Es hat gut geklappt und es hat viel Spaß gemacht, im Training nicht immer nur im Kreis zu laufen.

Werden Sie 2020 im Triathlon in den Medaillenbereich kommen?

Mein Ziel ist es schon, aber es ist brutal schwer. Im Schwimmen und Radfahren muss ich es noch viel weiterbringen. Im Laufen bin ich so ziemlich der Schnellste, aber die anderen zwei Disziplinen zählen genauso viel.

Sie haben ein Unternehmen gegründet, mit dem Sie das Wohlbefinden der Mitarbeiter in Unternehmen steigern möchten. Wie kam es dazu und was ist Ihr Anliegen?

Ich habe bereits vor einigen Jahren begonnen, Übungsprogramme zur Kräftigung und Stabilität zu entwickeln. Diese Übungen sind extrem gut angekommen. Am Anfang war das ein kleines Seitenprojekt zu meiner Profikarriere. Inzwischen ist aus Windhund ein richtiges Unternehmen geworden. Wir haben bereits 40.000 Kartensets mit meinen Übungsprogrammen verkauft und parallel die weltweit größte Übungsdatenbank mit weit mehr als 1000 Übungen aufgebaut. Wir lizensieren diese Übungen auch, zum Beispiel an Firmen wie Intersport oder Blackroll. Um uns weiterzuentwickeln, mussten wir uns aber ein neues Feld suchen, denn im Freizeitbereich gibt es bereits ein Überangebot. In den Unternehmen jedoch, wo die Mitarbeiter den ganzen Tag sitzen, sich acht oder zehn Stunden nicht bewegen, da ist noch enorm viel Potenzial und Bedarf. Da setzen wir an. Wir bieten Unternehmen eine unkomplizierte Möglichkeit, ein betriebliches Gesundheitsmanagement aufzusetzen, zu koordinieren und direkt über das Smartphone an sämtliche Mitarbeiter auszuliefern.

Das ist weit mehr als nur Übungskarten…

Ja klar. Alles läuft digital über die App, auch die Übungen am Arbeitsplatz: Entspannung, Mobilisation, Dehnen und so weiter. Es geht auch um Ernährung und mentale Fitness. Gemeinsam mit führenden Experten entwickeln wir Module, die an die Mitarbeiter ausgespielt werden.

Welche Affinität haben Sie zum Thema Digitalisierung?

Ich habe internationale Wirtschaft studiert und selbst eigentlich keinen IT-Background. Ich bin Anwender und bei weitem kein Programmierer. Aber ich sehe, dass an der Digitalisierung kein Weg vorbei geht. Das ist die Zukunft. Deshalb habe ich mir sehr früh Verstärkung aus diesem Bereich ins Team geholt.

Haben Sie in der Wirtschaft ebenso große Ambitionen wie im Sport?

Ja, natürlich habe ich da die gleichen Ambitionen. Das lässt sich nicht auf einen Bereich beschränken. Ich will mit Windhund nach der Sportkarriere durchstarten. 2020 werde ich mit dem Profi-Sport aufhören. Dann werde ich mich voll und ganz auf das Unternehmen konzentrieren. Ich sehe die gleiche Chance wie im Sport, da erfolgreich sein können.

Sie bleiben wettkampforientiert?

Ich würde sagen: Ich bin dort und da ehrgeizig. Ja.

Wie gehen Sie mit Rückschlägen um?

Ich bin grundsätzlich sehr nach vorne orientiert, ich hänge nie vergangenen Sachen nach. So ist das bei Erfolgen: Sobald ich etwas geschafft habe, ist das fast schon wieder vergessen und ich widme mich dem nächsten Ziel. Aber auch bei Rückschlägen oder Verletzungen: Ich bin keiner, der weint oder lamentiert. Ich bin immer gleich auf das nächste Ziel fokussiert und schaue, wie ich das Beste daraus machen kann.

Stets das große Ziel vor Augen: Mit derselben Disziplin, mit der Matzinger beim Leistungssport trainiert, geht er auch seine Firma an.
Foto: Thomas Kaserer

Stets das große Ziel vor Augen: Mit derselben Disziplin, mit der Matzinger beim Leistungssport trainiert, geht er auch seine Firma an.

Was treibt Sie an?

Es ist wohl das Gefühl, mich beweisen zu müssen. Als Kind mit physischer Behinderung glaubt man wahrscheinlich, das irgendwie überkompensieren zu müssen. So hat man vielleicht den Vorteil, ein bisschen mehr Antrieb und mehr Drive zu haben. Ich denke, das war bei mir der Fall. Es ist wahrscheinlich ein Grund, warum ich von früh an sehr intensiv Sport getrieben und mich immer engagiert habe. Diese Einstellung bleibt.

Wie wichtig ist die Unterstützung Ihrer Familie für Ihre sportlichen Leistungen?

Enorm wichtig. Wenn man diesen Rückhalt nicht hat, dann geht es nicht. Heute kann ich alles selbst organisieren. Aber gerade als Kind braucht man Eltern, die einen unterstützen, die einen zum Training fahren, beim Wettkampf begleiten und einem den Rücken freihalten. Ich bin sehr froh, dass meine Eltern mir das ermöglicht haben. Anderenfalls wäre ich nicht da, wo ich heute stehe. Auch meine Freundin hat viel Verständnis für mein sportliches Engagement, das extrem viel Zeit braucht.

Was haben Sie beim Sport für das Leben gelernt?

Man kann Vieles aus dem Sport lernen. Das Wichtigste ist wahrscheinlich die Disziplin. Man hat ein großes Ziel vor Augen und das mag noch ein paar Jahre weg sein, aber man arbeitet tagtäglich viele Stunden darauf hin und ordnet dem Ziel alles unter. Ohne diese Zielorientierung hätte man keinen Erfolg. Ich glaube, dass das vielen Personen abgeht, die das als Sportler nicht gelernt haben.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Matzinger.

ZUR PERSON

Name: Günther Matzinger
Wohnort: Salzburg
Geburtsdatum: 16. Mai 1987 in Tamsweg
Größe: 183 cm
Disziplinen: 400m, 800m, Triathlon
Ausbildung: Studium Exportorientiertes Management an der
Fachhochschule Krems
Hobbies: Rennrad, Schwimmen, Lesen, Kapitalmarkt
Größte Erfolge: zweifacher Paralympicssieger in London 2012 über 400m und 800m, dreifacher Staatsmeister über 800m (2013, 2015 und 2016) in der allgemeinen (nichtbehinderten) Klasse, zweifacher IPC-Weltmeister über 400m (2013 und 2017) und IPC-Europameister über 400m (2018)