Die Knochenschraube -
eine Familie dreht auf

Ein Familienunternehmen in der Nähe von Linz stellt Schrauben aus menschlichen Knochen her. Geschäftsführer Thomas Pastl erklärte uns die Vorteile des Produkts und wie es kommt, dass die ganze Familie sich bei Surgebright engagiert.

Surgebrigt-Produkt „Shark Screw”
©Philipp Wollinger

Surgebrigt-Produkt „Shark Screw”

Gute Ideen sind oft ganz einfach. Schrauben für Knochenoperationen aus Knochen herzustellen ist so eine Idee. Klaus Pastl hatte sie bereits 1995. Der orthopädische Chirurg war bei seiner täglichen Arbeit mit einem Problem konfrontiert. Schrauben aus Metall, die er in Operationen verwendete, um Knochen oder Knochenfragmente miteinander zu verbinden, müssen oft bei einer zweiten Operation wieder entfernt werden. Das führt für den Patienten ein weiteres Mal zu Schmerzen und Belastungen. Pastl suchte nach einer Lösung. Der Chirurg vermutete, dass Schrauben aus menschlichem Knochenmaterial besser angenommen würden.

Ein innovativer Dreh

In Zusammenarbeit mit Partnern und Universitäten in Österreich ließ Pastl solche Schrauben anfertigen und setzte sie bei Operationen ein. Seine Hypothese erwies sich als richtig. Die Schrauben wurden von den Patienten ohne Beschwerden angenommen und konnten im Körper bleiben. Die Knochenschrauben „verschmelzen” sozusagen mit dem umgebenden Knochen. Sie Knochenschrauben werden vom Körper wie eigenes Knochenmaterial behandelt. Nach dem Auslaufen von Forschungsprojekten stand Pastl vor der Frage: „Wer produziert mir jetzt die Schrauben?” Ein Hersteller musste her. Er selbst wollte keine Firma gründen. Doch er hat zwei unternehmungslustige Söhne. Die erkannten eine Geschäftsidee. Denn das, was Klaus Pastl bereits erfolgreich praktiziert hatte, würde auch andere Mediziner interessieren. Kurzerhand schlugen sie vor: „Lass es uns machen“. 

Eine Familie zieht an einem Strang

Surgebright-Geschäftsführung: Klaus, Thomas und Lukas Pastl
©surgebright

Surgebright-Geschäftsführung: Klaus, Thomas und Lukas Pastl

Familienunternehmen prägen die österreichische Wirtschaft. Die Bandbreite reicht vom kleinen Handwerksbetrieb bis zum Großkonzern. Oft wird ein Unternehmen von einer Gründerpersönlichkeit an die nächste Generation weitergegeben. Bei Surgebright lief es anders. Die Familie Pastl gründete das Unternehmen im Jahr 2016 gemeinsam. Vater Klaus hatte sich schließlich doch bereit erklärt mitzuziehen. Die Brüder Lukas und Thomas übernahmen die Geschäftsführung. Und auch Mutter Eva Pastl, wie ihr Mann Medizinerin, gehört zum Führungsteam. Für Thomas Pastl funktioniert das Familien-Konzept gut: Bei der Gründung und Führung eines Unternehmens seien Mitstreiter wichtig. Und innerhalb der Familie könne man sehr offen miteinander umgehen. Wichtig ist: Die Kompetenzen sind klar aufgeteilt. Die Eltern bringen das medizinische Know-how ins Unternehmen ein. Der Vater kennt als orthopädischer Chirurg die Erfordernisse der Praxis aus erster Hand. Die Mutter ist für Produktion und Qualitätskontrolle zuständig. Die beiden Söhne kümmern sich ums Geschäft – Lukas um die Finanzen, Thomas um Vertrieb, Marketing und Schulungen für Kunden.

Hochsprung in die Wirtschaft

Der heute 29 jährige Thomas Pastl hatte als Jugendlicher noch ganz andere Karrierepläne. Er besuchte eine Leistungssport-Schule und konnte als Stabhochspringer erste Erfolge verbuchen. Doch der Traum vom Profisport platzte. Wenige Monate nachdem er beim Olympischen Jugendfestival 2009 in Finnland eine Bronzemedaille gewonnen hatte, erlitt er eine Rückenverletzung. Er musste umsatteln. An der Fachhochschule des BFI Wienstudierte Pastl Wirtschaft und Unternehmensführung. Er war also auf die Führung eines Unternehmens vorbereitet, als er mit der Familie noch während seines Studiums die Idee zu Surgebright entwickelte.

Thomas Pastl
©surgebright

Thomas Pastl

Der Start

Gleich nach der Gründung bauten die Pastls mit Partnern und ersten Mitarbeitern die Produktion auf und erwarb eine Lizenz als „Gewebebank”, also dafür, Knochen von menschlichen Spendern zu beziehen und zu verarbeiten. Im Jahr 2016 brachten sie die Shark Screw auf den Markt, laut Thomas Pastl die weltweit erste und damals einzige humanbiologische Knochenschraube. Die unscheinbare 35 Millimeter lange Schraube mit einem Durchmesser von nicht mehr als 5 Millimetern hat laut Pastl ein enormes Potenzial: Nicht nur erspart die Knochenschraube Patienten einen zusätzlichen Eingriff, auf diese Weise „könnten in der EU auch jährlich bis zu 6,7 Milliarden Euro an Kosten für die Entfernung von Metallschrauben eingespart werden”. Nach Österreich ist die Shark Screw inzwischen auch in der Schweiz auf dem Markt. Als Nächstes folgt Deutschland. 

Herausforderungen

„Shark Screw”-Varianten. Knochenschrauben sind gut geeignet für Operationen an Hand und Fuß.
©surgebright

„Shark Screw”-Varianten. Knochenschrauben sind gut geeignet für Operationen an Hand und Fuß.

Surgebright kämpft gegen einen starken Gegner: Die Gewohnheit. Kliniken und Chirurgen davon zu überzeugen, Metallschrauben gegen die Shark Screw einzutauschen, ist für Surgebright eine Herausforderung. Metallschrauben sind in der in der orthopädischen Chirurgie seit Jahrzehnten die Norm. Chirurgen, die sie während ihrer ganzen Laufbahn eingesetzt haben, zögern, sich auf das neue Produkt einzulassen. Gegenwärtig ist die Knochenschraube auch tatsächlich noch nicht für alle Operationen geeignet. Bei starken Brüchen des Oberschenkelknochens oder des Schienbeins wird weiterhin ein dicker Metallnagel gebraucht. Thomas Pastl sieht das Einsatzfeld seiner Schraube bei Operationen der Schulter, von Fuß und Sprunggelenk, Hand und Handgelenk sowie in der Kinderchirurgie.

Auch die Corona-Krise war für das junge Unternehmen eine Herausforderung. Viele Operationen wurden abgesagt oder verschoben. Der Umsatz brach ein – im März und April 2020 auf 10 Prozent des Vorjahres-Niveaus. Doch Thomas Pastl bleibt optimistisch, denn er glaubt an sein Produkt. Fragt man Patienten, wollen diese jedenfalls fast immer lieber die Shark Screw als Metall im Körper.