Revolution in der Prothesentechnik:
„Weniger ist immer mehr“

In Wien ist dem Rekonstruktionsmediziner Prof. Dr. Oskar Aszmann eine Revolution in der Prothesentechnik gelungen: Seine künstlichen Gliedmaßen steuert der Patient mit reiner Willenskraft.

Oskar Aszmann am 23. April 2015 bei der Überreichung des Houskapreises für die „Bionische Oberarmprothese“.
© Franz Johann Morgenbesser

Oskar Aszmann am 23. April 2015 bei der Überreichung des Houskapreises für die „Bionische Oberarmprothese“.

Der menschliche Körper ist das große Geheimnis unseres alltäglichen Lebens. Eine Black Box, die uns in ihren Funktionen allgegenwärtig ist, in die wir jedoch für gewöhnlich keinen Einblick haben. Für einen endlos neugierigen Mensch wie Prof. Dr. Oskar Aszmann war die Leiblichkeit bereits in jungen Jahren im Zentrum seiner Wissbegierde.

„Es war ein ganz besonderer Moment“

Mit 20 erlebte er zum ersten Mal das Sezieren eines Menschen. „Es war ein ganz besonderer Moment“, erinnert er sich. „Dieses Vordringen ins Innere, das Abziehen der Haut, der Einblick in innere Organe bis hinunter auf die zelluläre Ebene.“ Dieser Forschungsdrang ist in ihm wachgeblieben: „Bis heute fasziniert mich die Anatomie. Unser Leib ist ein Universum im Universum. Es ist wie das In-den-Himmel-Gucken für den Astrophysiker.“ 

Mit Willenskraft Technik steuern

Diese Leidenschaft hat Aszmann zum Beruf gemacht. Heute ist er Professor an der Medizinischen Universität Wien und leitet die klinische Abteilung für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie. Gemeinsam mit seinen Kollegen ist ihm eine Weltsensation gelungen: die erste bionische Handprothese, die sich durch reine Willenskraft steuern lässt – eine Revolution in der Prothesentechnik. An drei Patienten ist diese Innovation bislang erprobt worden. 

Bis dato funktionierten bionische Prothesen über Elektroden, die elektrische Signale vom Gehirn an das künstliche Körperteil weiterleiten. Bei Aszmanns Erfindung erfolgt die Navigation mit Hilfe von myoelektrischen Signalen, sprich elektrischen Muskelimpulsen. Dazu hat Aszmanns Team eine neue Schnittstelle für Gewebe und Prothese entwickelt. Die Chirurgen nehmen einen Muskel, beispielsweise aus dem Oberschenkel, und setzen ihn im Arm ein, um die dortigen Nervenimpulse zu verstärken.

Was für Astrophysiker der Himmel ist, ist für Aszmann der menschliche Körper: Ein Universum.
© Franz Johann Morgenbesser

Was für Astrophysiker der Himmel ist, ist für Aszmann der menschliche Körper: Ein Universum.

Nach drei Monaten ist der Muskel eingewachsen und der Patient trainiert sein Gehirn, das nach jahrelanger Lähmung der ursprünglichen Handnerven nicht mehr an die Stimulation dieser Körperregion gewöhnt ist. Erst lernt er mit einem Sensorarmband den Muskel zu bewegen und zu kontrollieren. Anschließend übt er, über die Stimulation des implantierten Muskels die Prothese zu steuern. 

So filigran wie eine menschliche Hand ist eine Prothese allerdings nicht. „Klavier spielen wird er damit also nicht können“, sagt Aszmann. „Das konnten die meisten meiner Patienten aber vor dem Unfall auch nicht. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass eine intuitive, bequeme Bedienung wesentlich wichtiger ist, als eine Prothese, die irrsinnig viel kann. Weniger ist immer mehr.“

Vom Philosophen zum Arzt

Ursprünglich wollte der 51-jährige Oskar Aszmann gar nicht Arzt werden. „Mein Ziel war immer die Welt der Wissenschaft. Und meine Leidenschaft galt der Biologie. Das habe ich zuerst auch studiert. Dann inskribierte ich noch Philosophie und war damit unzufrieden. Ich fühlte mich in einem wissenschaftlichen Elfenbeinturm eingesperrt. Mir fehlte die Auseinandersetzung mit der Realität.“ Doch dann entdeckte er, „dass die Medizin Wissenschaft und praktische Ansätze vereinen kann“.

„In Zukunft werden wir die Implantate direkt unter die Haut setzen. Plug and play.“

Geboren wurde er 1966 in Wien, seine Eltern waren beide als Manager in Konzernen tätig. Mit seiner französischen Ehefrau Céline hat er einen vierjährigen Sohn und zwei Töchter, acht und zehn Jahre alt.  Seine philosophische Leidenschaft bewahrt ihn davor, die Chirurgie als Humaningenieur zu betreiben. Der Mensch ist für ihn keine Maschine, im Gegenteil: „Die genetische Forschung zeigt uns, was die Bibel meint, wenn es dort heißt: Das Wort ist Fleisch geworden. Ich glaube, dass es eine Seele gibt und dass der Leib ein Ausdruck von ihr ist.“

Gleichwohl wird der Einbau künstlicher Gliedmaßen künftig selbstverständlicher werden – so sagt es Aszmann voraus: „In Zukunft werden wir die Implantate direkt unter die Haut setzen. Plug and play. Das Konzept dafür habe ich schon in der Schublade.“ Dann können Diabetiker beispielsweise ihren Blutzuckerspiegel mit einer App auf ihrem Smartphone regulieren.