Mit dieser App kann jeder Gitarre lernen

Mit seiner kleinen Software-Schmiede in Linz begeistert Florian Lettner sogar den Technologie-Giganten Apple: Musikfans in aller Welt lernen mit Hilfe der Fretello-App das Gitarrespielen.

Bringt 250.000 Menschen Gitarrespielen bei: Florian Lettner ist Gründer der Musiklern-App Fretello.
@ Fretello

Bringt 250.000 Menschen Gitarrespielen bei: Florian Lettner ist Gründer der Musiklern-App Fretello.

Der Vergleich amüsiert ihn. Denn nach Arnold Schwarzenegger feiert Florian Lettner ebenfalls als Steirer in den USA Triumphe. Mit seiner innovativen Smartphone-App Fretello, die Gitarren-Fans digital das Spielen des Instruments beibringt, hat es Lettner sozusagen in die Hall of Fame der App-Welt geschafft. Auf der diesjährigen Apple-Entwicklerkonferenz in San Francisco nahm das US-Unternehmen die Fretello-Software nicht nur in seinen Apple-Store auf, sondern präsentierte die neue Funktion „Sign in with Apple“ anhand der Fretello-App.

Eine Sternstunde für das Start-up-Unternehmen mit dem Hauptsitz in Linz und eine Riesenehre für den Gründer: „Obwohl wir seit längerem intensiv an Partnerschaften mit Unternehmen wie Apple und Google arbeiten, kam die überaus prominente Präsentation für uns überraschend“, freut sich Lettner.

Apple war emotionaler Meilenstein

Studienfreunde: Florian Lettner und sein Co-Gründer Wolfgang Damm haben sich an der Uni kennengelernt.
© www.lukasbeck.com

Studienfreunde: Florian Lettner und sein Co-Gründer Wolfgang Damm haben sich an der Uni kennengelernt.

Dabei ist der 33-Jährige, der mit seinem Studienfreund Wolfgang Damm, beide Absolventen in Mobile Computing an der Fachhochschule Hagenberg in Oberösterreich, sein Unternehmen 2014 ins Leben rief, an Auszeichnungen durchaus gewöhnt. Die Newcomer erhielten zahlreiche Branchen-Preise, schlossen spektakuläre Kooperationsdeals mit den Musiklabels Sony und Kobalt ab, und gewannen den Business Angel Michael Altrichter in der bekannten TV-Show „2 Minuten 2 Millionen“ für ein Investment. Trotz solcher Höhenflüge hat Lettner die Bodenhaftung nicht verloren. „San Francisco war schon ein emotionaler Meilenstein. Es war aber auch ein harter Job, um aufs Radar von Apple zu gelangen. Dazu war viel Fleiß, viel Schweiß nötig.“

Dass Lettner keineswegs ein typischer digitaler Nerd ist, dessen Lebenswirklichkeit ausschließlich aus der virtuellen Realität des Internets besteht, ist gewiss auch seiner Kindheit in der Steiermark zu verdanken. Er ist auf dem Land aufgewachsen, die Großeltern betrieben einen Bauernhof auf der Alm, seinen ersten Computer bekam er erst mit zwölf Jahren, an der Musikhochschule lernte er Gitarre und Schlagzeug, er machte Bergtouren und fuhr Ski. Heute lebt er außerhalb von Linz wiederum in ländlicher Umgebung im Eigenheim, ist verheiratet, sein Sohn ist eineinhalb Jahre alt, ein zweites Kind ist unterwegs. „Ich bin Familienmensch“, so beschreibt er sich.

Gitarre spielen lernen in einem Jahr

Seine Lebenserfahrungen jenseits größerer Städte dürften ihn auch zum Konzept der Fretello-App inspiriert haben. Mit dieser Technik will er gerade jenen Menschen, die weitab von Musikschulen leben, dazu verhelfen, ihre Kreativität auszuleben. „Es ist ein Ammenmärchen, dass nur besonders Begabte fähig sind, ein Musikinstrument zu erlernen“, meint er. Mit seiner Software kann jeder nach einem Jahr die Grundlagen des Gitarrenspielens beherrschen – „und zwar schneller als gewohnt, gezielt und langfristig. Danach heißt es weiter Üben“, sagt er, um die eigenen Fertigkeiten weiter zu verfeinern.

Abgeschaut hat Lettner die Methode aus der Sportwissenschaft: „In erster Linie ist die Einübung der Bewegungsabläufe wichtig. Dadurch wird das Gitarrenspiel genauer und vielseitiger.“ Das Muskelgedächtnis soll trainiert werden – bis die Bewegungen sitzen ohne viel nachzudenken. Das Programm hört dem Gitarristen über das Smartphone-Mikrophon zu, die künstliche Intelligenz registriert das Lerntempo und spezifische Bedürfnisse und passt daraufhin den Übungsplan immer wieder individuell an. Konzipiert wurde das Training gemeinsam mit Musikpädagogen. Bei wöchentlich drei bis fünf Sessions zu je 20 Minuten sollen sich erste Erfolge bereits nach zwei Wochen einstellen.

Mit Methode gegen den Frust

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© Fretello

Lettner kennt den Drang, sich musikalisch weiterentwickeln zu wollen, aus seiner Jugend. Wie für jeden Teenager war Musik auch für ihn ein wesentliches Ausdrucksmittel und Identifikationsmedium. Er wollte seine Lieblingssongs selber nachspielen und begann zunächst, sich das Gitarrenspielen autodidaktisch beizubringen. „Irgendwann war ich an einem Punkt, da war ich mit meinen Kenntnissen am Ende. Das hat mich sehr geärgert, und ich hab’ aufgehört zu spielen.“ Später lernte er Gitarre und Schlagzeug an der Musikhochschule und merkte, wie professionelle Lernmethoden das Üben beflügeln.

Beim Studium wandte er sich seiner zweiten Leidenschaft zu – der Computerprogrammierung. „Ursprünglich wollte ich Computerspiele entwickeln.“ Doch dann lernte er seinen Studienkollegen Wolfgang Damm kennen und sie tüftelten für US-Unternehmen Software für 360-Grad-Kameras aus. Ihre Erfindungen waren so erfolgreich, dass sie ihre Gewinne in die Fretello-App investieren und im Herbst 2016 starten konnten.

Auf die zündende Idee brachte ihn sein Musiklehrer Helmut Kirisits, bei dem er in seinen Studientagen wieder intensiver Gitarrenspielen lernte und den er mittlerweile für die App-Entwicklung engagiert hat: „Ich hab’ gemerkt, dass mit System schnell etwas weitergehen kann, und mir kam die Idee, den organisatorischen Aufwand durch eine App mit Übungsplan zu vereinfachen und anderen zugänglich zu machen.“

Künstliche Intelligenz als Musiklehrer?

Internationales Team: Zweimal im Jahr treffen sich die Mitarbeiter von Fretello, die sonst auf den Kontinenten verteilt leben.
@ Fretello

Internationales Team: Zweimal im Jahr treffen sich die Mitarbeiter von Fretello, die sonst auf den Kontinenten verteilt leben.

Eine Viertelmillion User weltweit nutzen die App mittlerweile, in Österreich und Deutschland zahlen sie dafür 120 Euro pro Jahr. Mit 18 Mitarbeitern entwickelt Lettner sein Lernprogramm täglich weiter. Seine Software-Entwickler, Musiklehrer, Spezialisten für E-Learning und digitale Lerninhalte sitzen rund um den Globus verteilt – von Indien bis USA. „Wir suchen uns die besten Leute“, sagt Lettner.

Im Hauptbüro in Linz arbeiten eine Handvoll Angestellte, unter anderem aus Brasilien und Mexiko. Mit ihren Kollegen auf anderen Kontinenten kommunizieren sie pausenlos über einen internetbasierten Messaging-Dienst. „Dadurch spielt die Entfernung keine Rolle mehr“, so Lettner. Zwei Mal im Jahr werden alle zu Teamevents zusammengeholt, um den Zusammenhalt zu stärken.

Werden Apps wie Fretello irgendwann den Musiklehrer ersetzen? Lettner schüttelt den Kopf: „Nein, die künstliche Intelligenz ist eine Ergänzung zum konventionellen Gitarrenunterricht. Wir wollen mit Musiklehrern zusammenarbeiten. Unser Übungsprogramm ist eine digitale Alternative zu papiernen Lehrbüchern.“ Und mit inzwischen drei Millionen Songbeispielen erhöht die App die Freude am Lernen.