Kreislaufwirtschaft macht uns zukunftsfähig

Der aus Deutschland stammende Thomas Rau arbeitet in den Niederlanden.
©juliette polak/fleur koning

Der aus Deutschland stammende Thomas Rau arbeitet in den Niederlanden.

Was es heißt, wenn Rohstoffe immer knapper werden, spüren wir aktuell an steigenden Preisen,– auch und gerade am Bau. Gleichzeitig landen wertvolle Materialien nach dem Abriss von Gebäuden noch immer meist auf der Mülldeponie. Bestenfalls werden sie im Straßenbau verwendet. Unter dem Credo „Material Matters“ entwirft Thomas Rau mit seinem Amsterdamer Büro nicht nur „zirkuläre Gebäude”, sondern auch neue Wertschöpfungsketten, die dieser Rohstoffverschwendung ein Ende setzen sollen. Für sein Werk und seine Visionen wurde Thomas Rau mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Herr Rau, Sie wollen die Verschwendung von Rohstoffen beenden. Was treibt Sie dabei an?
Durch einen schweren Unfall, der mich über viele Monate ans Krankenbett fesselte, wurden mir im Alter von 10 Jahren die Grenzen meines Seins bewusst. Es sollte mein Lebensthema werden, was nicht immer leicht war. Es machte mich manchmal zum Außenseiter, etwa in der Pubertät. Ich wurde Kinderpfleger, befasste mich mit Sozialpädagogik, machte eine Tanzausbildung. In den 1990er-Jahren kam ich als Architekt nach Holland. Mir war dabei klar: Ich kann nur nachhaltig bauen, im Einklang mit unserer Erde. Denn darum geht es doch schließlich. 2010 bekam ich als Erwachsener Röteln – ein weiterer schwerer Einschnitt. Mein Arzt sagte damals zu mir, dass mir die Erkrankung zeige, dass ich im Leben noch nicht das mache, was ich tun will. Danach gründete ich mit meiner Frau ein neues Büro, das wir seither neben dem Architekturbüro betreiben. Unser Unternehmen turntoo beschäftigt sich mit der Architektur eines gänzlich neuen Wirtschaftssystems.

Was bedeutet dieses neue System für den Umgang mit Materialien?
Es geht zunächst darum, die Erde als ein geschlossenes System zu begreifen. Alles, was da ist, ist nur in einer gewissen Menge da. Es ist nicht vermehrbar. Umgekehrt heißt das aber auch, es gibt keine Knappheit der Rohstoffe, so wenig, wie es eine Knappheit an Werken von Rembrandt oder Beuys gibt. Auch sie sind begrenzt und selten, aber nicht knapp. Die natürlichen Materialien sind also so etwas wie die Kunstwerke der Erde. Zugleich wachsen unsere Bedürfnisse. Immer mehr Menschen bevölkern die Erde. Um diese wachsenden Bedürfnisse dennoch befriedigen zu können, müssen wir die Materialien stetig in einem Kreislauf halten. Wir müssen also eine Kreislaufwirtschaft etablieren, um unsere Zukunft zu sichern.

Beim Rathaus Brummen werden sämtliche Rohstoffe von den Lieferanten wieder zurückgenommen, sollte das Gebäude einmal abgerissen werden.
©Thomas Rau/Turntoo

Beim Rathaus Brummen werden sämtliche Rohstoffe von den Lieferanten wieder zurückgenommen, sollte das Gebäude einmal abgerissen werden.

Als einen wichtigen Schlüssel benennen Sie die Zusammengehörigkeit von Macht und Verantwortung. Was meinen Sie damit?
In unserem heutigen linearen System haben Unternehmen ein starkes Interesse daran, dass Dinge schnell altern, damit wir erneut konsumieren. Das bedeutet: Unternehmen haben die Macht, über die Lebensdauer ihrer Produkte zu entscheiden. Sie übernehmen aber keine Verantwortung für die Folgen ihres Tuns. Die landet beim Verbraucher. Macht und Verantwortung gehören deshalb zusammen. Das schaffen wir, wenn wir unser Wirtschaften hin zu nachhaltigen Services entwickeln und weg vom Besitz. In einem Service basierten System hat ein Produzent ein eigenes wirtschaftliches Interesse an einem guten Produkt. Als ich mein eigenes Büro ausgestattet habe, habe ich mit dem Lampenhersteller Philips das Modell „Licht als Service“ entwickelt. Die Kosten für Strom, Reparatur oder Austausch bleiben beim Hersteller. Nach diesem Modell beliefert Philips inzwischen auch den Flughafen Amsterdam-Schiphol mit Licht und hat hierfür eine Lampe entwickelt, die mindestens so lange hält wie der Vertrag – 15 Jahre.

Sie fordern außerdem, dass jedes Gebäude einen Materialpass bekommen müsse. Was ist die Idee dahinter?

Der Unternehmenssitz des Energienetzbetreibers Liander war 2015 das weltweit erste Gebäude, für das ein Materialpass ausgestellt wurde.
©Thomas Rau/Turntoo

Der Unternehmenssitz des Energienetzbetreibers Liander war 2015 das weltweit erste Gebäude, für das ein Materialpass ausgestellt wurde.

Wir wollen die Materialien damit aus der Anonymität holen, denn ohne Identität ist das benutzte Material bloß Abfall. Wir haben 2012 den Materialpass ins Leben gerufen und 2017 - zunächst in den Niederlanden - mit Madaster ein Kataster für Materialien. Das können Sie sich als ein digitales Schließfach vorstellen, in dem die Materialpässe gegen eine Gebühr hinterlegt werden können. Gebäude werden damit zu erschließbaren Materiallagern. Voraussetzung ist die umfassende Dokumentation, wo welche Materialien und Produkte verbaut sind. Inzwischen gibt es bereits in fünf europäischen Ländern Madaster-Plattformen. In den Niederlanden ist der Materialpass bei Neubauten mittlerweile Pflicht. Und auch in Deutschland ist dies geplant.

Wird das Bauen damit auch günstiger?

Es ist wenig aussichtsreich, Menschen allein mit moralischen Wertvorstellungen überzeugen zu wollen. Will ich etwas ändern, muss ich dies mit finanziellen Vorteilen verknüpfen. Bislang werden Gebäude meistens in voller Höhe abgeschrieben. Es hat damit in der Bilanz keinen Wert mehr. Natürlich ist dieser “Nullwert aber nicht real, denn er berücksichtigt die wertvollen Materialien nicht. Wir schlagen deshalb vor, Gebäude nur noch bis zu einem minimalen Restwert von 18 Prozent abzuschreiben. Wenn transparent ist, was das Material eines Gebäudes an Wert besitzt, wird die Wiederverwendung zu einer echten Alternative zur Deponie. In Holland wird ein Madaster-Account bereits von einigen Versicherungen als risikomindernde Maßnahme honoriert. Das zeigt: Die vollständige Transparenz über die verbauten Materialien und Produkte zahlt sich aus, auch finanziell.

Der 2019 errichtete Hauptsitz der Triodos Bank kann komplett demontiert werden.
©Thomas Rau/Turntoo

Der 2019 errichtete Hauptsitz der Triodos Bank kann komplett demontiert werden.

Sie realisieren mit Ihrem Büro selbst zirkuläre Gebäude, die gleichzeitig als Rohstoffdepot fungieren sollen. Wie gehen Sie dabei vor?
Wenn ich ein kostbares Gemälde habe, hänge ich es so auf, dass es nicht beschädigt wird und dass ich es auch wieder umhängen kann. Nach diesem Prinzip entwerfe ich auch Gebäude. Das heißt: Alles, was dort verbaut wurde, kann zerstörungsfrei wieder demontiert und weiterverwendet werden. Deshalb werden in einem zirkulär geplanten Gebäude alle Bauteile trocken miteinander verbunden. Einen wertvollen Mondrian würden Sie ja auch nicht in die Wand einputzen. Aber mit dieser Vorgehensweise ändert sich der gesamte Entwurfsprozess grundlegend, auch wenn das Produkt am Ende scheinbar das Gleiche ist: ein Gebäude.

Woran kann ich als Käufer oder Bauherr denn erkennen, ob ein Gebäude zirkulär geplant und gebaut wurde?
Auch hier kann die Plattform Madaster helfen – mit einem Zirkularitätsindex. Der Wert dieses Indexes wird anhand der eingetragenen Materialdaten ermittelt. Je besser das Gebäude zerlegbar ist, desto höher ist der Indexwert und desto besser können die verwendeten Materialien später wiederverwendet werden.

Seine Visionen und Projekte stellt Thomas Rau in seinem, gemeinsam mit seiner Frau Sabine Oberhuber veröffentlichten Buch vor:

Material Matters

Wie eine neu gedachte Circular Economy uns zukunftsfähig macht

Econ, Hardcover mit Schutzumschlag, 280 Seiten, ISBN: 9783430210751, erschienen am 29.11.2021