#InventedInAustria:
Die Dehnung der Zeit

Österreicher sind erfindungsreich – das zeigen wir in unserer Serie „Invented in Austria“. In Folge 2 stellen wir den Grazer Priester und Gymnasiallehrer August Musger vor. Der war nicht nur ein begnadeter Zeichner, sondern auch ein technisches Genie. In den Anfängen des Kinozeitalters schuf er die Grundlagen für die Zeitlupe.

©Wald1siedel

Als die Bilder Ende des 19. Jahrhunderts laufen lernten, wurden die menschlichen Sehgewohnheiten so radikal über den Haufen geworfen, wie wir es uns heute kaum mehr vorstellen können. Die ersten Stummfilm-Vorführungen mit dem Kinematographen der französischen Gebrüder Lumière übten ab 1895 auf das Publikum eine magische Anziehungskraft aus. Auch der steirische Priester August Musger (1868-1929) war dieser Faszination erlegen. Doch wie auch andere Zuseher störte er sich an den abgehackten Bewegungen und dem ständigen Flimmern auf der Leinwand. Die Kameras beförderten die Bilder ruckweise, sechzehn Mal pro Sekunde "stoppte" der Film, während des Weitertransports wurde mit einer Blende abgedunkelt. Der technikbegeisterte Gottesmann Musger, der am Knabenseminar in Graz Mathematik, Physik und Freihandzeichnen lehrte, überlegte, wie die Probleme zu lösen seien. 1904 meldete er sein erstes Patent an: den „Serienapparat mit Spiegelrad“ .

Dreharbeiten um 1920
©Library of Congress, Prints & Photographs Division, Detroit Publishing Company Collection

Dreharbeiten um 1920

Grundlagen für die moderne Filmtechnik

Musgers Konstruktion konnte Bilder sowohl wiedergeben als auch aufnehmen – und dies nicht nur in normaler Geschwindigkeit, sondern auch verlangsamt. „Dehnung des Zeitmaßstabes“ nannte er es. Seine Innovation sollte zur Grundlage für Zeitlupenaufnahmen werden. Mit Hilfe eines Ausgleichsspiegels konnten die ruckartigen Bewegungen vermieden und das Flimmern beseitigt werden. Die Filmbilder werden über ein Spiegelrad auf die Leinwand projiziert. Das Spiegelrad dreht sich mit der gleichen Geschwindigkeit wie die Filmrollen. Dadurch werden die Bewegungen des Filmbandes ausgeglichen. Auf diese Weise kann der Film fortlaufend geführt und es können bis zu 500 Bilder pro Sekunde transportiert werden. Allerdings fehlten Musger die finanziellen Mittel, um seine Erfindung auf den Markt zu bringen. Über einen Prototyp gelangte er nicht hinaus. 1912 musste er seine Patentrechte wieder aufgeben.

Plan eines „Kinematographen” mit Spiegelrad von August Musger.

Plan eines „Kinematographen” mit Spiegelrad von August Musger.

Ein Dresdner Unternehmen profitierte von Musgers Ideen

Zu dieser Zeit korrespondierte der Techniker Hans Lehmann den Dresdner Ernemann-Werken mit Musger über dessen Entwicklungsergebnisse. Auf Basis von Musgers Vorarbeiten konnte das Vorläufer-Unternehmen von Zeiss-Ikon einen Zeitlupenapparat herstellen und 1914 der Öffentlichkeit präsentieren. Musger wurde mit keiner Silbe erwähnt. Nur in einem Brief von 1916 bestätigte Lehmann dem Priester, dass Ernemanns „Zeitmicroscop“ auf Musgers Erfindung basiert.

#InventedInAustria, Folge 1: Die mechanische Nähhand 

Die Ernemann-Werke profitierten von Musgers Arbeit. Sie gingen 1926 in der Firma Zeiss Icon auf.

Die Ernemann-Werke profitierten von Musgers Arbeit. Sie gingen 1926 in der Firma Zeiss Icon auf.