Georg Fraberger:
„Ich liebe, also bin ich“

Was brauchst du für dein Glück? Für Mein Leben sprachen wir mit dem Psychologen und Buchautor Georg Fraberger darüber, wie man seine Bedürfnisse erkennt und verfolgt.

Ihr jüngstes Buch heißt „Wie werde ich Ich“. Aber: Was ist das überhaupt, dieses Ich, über das Sie schreiben?

Das Ich ist das, was uns ausmacht und es ist zugleich das, was wir so oft zurückstecken. Wie oft sagen wir „Ich muss“, und genau hier kommt unser Ich schon zu kurz. Wir müssen nämlich ganz wenig und haben gleichzeitig eine enorme Freiheit. Dennoch trauen sich nur wenige Menschen, frei zu leben. Viele schränken sich ein aus Sorge, womöglich sonst Grenzen zu übertreten. Und ziehen es vor, das zu tun, worüber es vermeintlich einen gesellschaftlichen Konsens gibt.

Wie kann ich mein Ich stärken?

Es ist gut, sich klar zu machen, woher der Druck eigentlich kommt, der auf uns einwirkt. Oft ist dieser Druck hausgemacht:  Das Gefühl, unter Stress zu stehen, kommt aus unserem eigenen Körper. Und es entsteht immer dann, wenn wir Angst davor haben, anderen nicht genügen zu können. Wir müssen lernen, uns genauso wichtig zu nehmen, wie den anderen auch, ohne verantwortungslos zu agieren. Es geht darum, den eigenen Wert zu erkennen, der sich eben nicht daran misst, ob wir erfolgreich im Job sind oder daran, ob uns immer alles gelingt. Das Ich an sich ist wertvoll.

Sie verorten das Ich zwischen Körper, Geist und Herz. Was davon ist am Wichtigsten?

Das Allerwichtigste ist das Herz, man kann auch Seele dazu sagen. Der Körper und der Geist oder auch Verstand sind zweitrangig. Um das an einem Beispiel zu illustrieren: Das Wichtigste, was eine Mutter oder ein Vater leisten muss, ist einfach da zu sein, ein verlässlicher Anker für das Kind zu sein, ohne dass dafür immer eine große Anstrengung oder Verabredung nötig sind. Ich wurde ohne Arme und Beine geboren, und es war ungewiss, ob ich je würde arbeiten können. Dennoch haben meine Eltern alles getan, damit ich zur Schule gehen und lernen konnte, um mir Freiheit zu geben. Bei all der Unsicherheit, die mit meinem Zustand zusammenhängt, war die Liebe der Wert, der meine Eltern und meine Umgebung geleitet hat.

Wir sind ständig umgeben von den Einflüssen und Meinungen anderer. Wie kann ich mich davon abgrenzen und erkennen, was mir wirklich wichtig ist und guttut?

Das ist eine große Schwierigkeit. Konsum ist beispielsweise ein Faktor, der uns immer wieder herausfordert. Das ist wie eine Droge, die uns – zeitlich begrenzt – ein gutes Gefühl vorgaukelt. Das Ich muss sich trauen, seine Meinung auch gegen den Widerstand anderer zu vertreten. Das Einzige, woran ich erkennen kann, dass es mir gut geht, ist die Erkenntnis, dass ich es nicht nötig habe, einen anderen schlecht zu machen oder zu verurteilen. Mitgefühl ist dabei ausschlaggebend. Solange ich Empathie mit dem Gegenüber verspüre, kann ich nicht viel falsch machen. Wenn ich mein Mitgefühl zugunsten eines Wertes oder einer Idee verliere, gerate ich in Gefahr, ins Ungleichgewicht zu kommen. Meine einfache Formel dazu lautet: der Mut zu scheitern mal dem Selbstwert mal dem Einfühlungsvermögen. Wenn man einen dieser drei Faktoren verliert, dann ist das Ergebnis Null  – wie bei jeder Multiplikation. Dann bin ich wirklich auf dem falschen Weg.

Wie merke ich, dass ich bei mir selbst angekommen bin?

Körperlich merkt man das, wenn der Körper lockerlassen kann, wenn ich weniger verspannt bin, wenn ich mit mir im Einklang bin. Dann geht von mir eine Wachheit aus und Interesse an anderen Menschen und neuen Dingen. Das Beispiel eines Kindes, von dem es heißt, es sei in der Schule angekommen, ist treffend: Wenn ein Kind angekommen ist, freut es sich, morgens zur Schule zu gehen und schmiedet Pläne für die Pause. So ähnlich fühlt es sich an, sich selbst gefunden zu haben. Wir müssen uns immer wieder auf die Suche nach uns selber machen und uns nicht etwa von Angst leiten lassen.

Zu Ihnen kommen Menschen, die vor schwierigen Entscheidungen stehen. Was raten Sie Menschen, deren Kopf und Bauch ganz Unterschiedliches sagen?

Wenn ich ein ungutes Gefühl habe, sollte ich mich fragen, was ich überhaupt machen MUSS. Kann ich das alles schaffen oder gibt es eine andere Lösung? Das Muss sollte durch Liebe reduziert oder besser ersetzt werden. Ein Dauer-Muss führt unweigerlich zu einer Krankheit, unser Körper zeigt uns irgendwann unsere Grenzen. Wir sollten die gesellschaftliche Maxime durchbrechen, immer nur der Beste und Schnellste und Schönste sein zu müssen, indem wir sagen: Ich liebe, also bin ich. Liebe ermöglicht einen anderen Blickwinkel auf die Welt. Das, was mich so weit gebracht hat, ist die Liebe der Menschen, die mich umgeben.

Das Leben ist flexibler geworden, es gibt mehr Möglichkeiten, mehr Wege als früher. Wie können wir in diesen Zeiten lernen, Entscheidungen zu treffen, die besser mit unseren Bedürfnissen übereinstimmen?

Wir denken immer, wir wären glücklicher, wenn wir bestimmte Dinge besitzen oder Ziele erreicht haben. Das, was uns frei machen sollte, ist die Freude. Für die Freude brauche ich kein Geld. In unserer Gesellschaft werden die Grundbedürfnisse gedeckt, es gibt die schreckliche Armut von früher, zumindest hierzulande, nicht mehr. Was uns eine Basis gibt, ist Identität. Identität ist unabhängig von Materialität. Ein Weltmeister bleibt Weltmeister, auch wenn der Titel schon Jahre zurückliegt. Um gerade diese Unabhängigkeit geht es mir. Ich brauche beispielsweise keinen Lebenspartner, um zu wissen, was Liebe ist. Was ich brauche, ist Identität, die es mir ermöglicht, dieses Wissen zu erlangen. Identität ist das, was mich absichert.

Es heißt, man lerne vieles erst zu schätzen, wenn man es verloren hat. Was kann man tun, um Glück und Zufriedenheit im Moment wahrzunehmen?

Gerade im Spital begegnet mir genau dieses verpasste Glück als ein riesengroßes Thema. Ich bin mir sicher, dass wir uns einfach nicht so stressen lassen müssen und lernen sollten zu genießen. Dazu gehört es, rauszugehen, soziale Kontakte zu knüpfen und zu zeigen, wer man ist. Seinen eigenen Wert erkennt man nicht beim einsamen Blick zuhause in den Spiegel, sondern durch Menschen, die einen widerspiegeln.

ZUR PERSON

Georg Fraberger ist Psychologe, Autor (unter anderem „Wie werde ich Ich: Zwischen Körper, Verstand und Herz“ und „Ein ziemlich gutes Leben“) und Motivationsredner. Als Psychologe arbeitet Fraberger sowohl in seiner Privatpraxis als auch im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien, wo er vorwiegend mit Patienten mit einer lebensverändernden Diagnose arbeitet. Fraberger ist verheiratet und hat fünf Kinder. 
fraberger.eu