Automatisierte Prozesse und künstliche Intelligenz werden unsere Kommunikation verändern, sagt Digitalisierungsberater Andreas Hladky. Warum Unternehmen sich darauf schon heute einstellen sollten, erklärt er im Interview mit MEIN LEBEN.

Herr Hladky, schon bald werden wir alles Digitale ohne Tablet und Smartphone erledigen können. Was stellen wir uns darunter vor? Wie sieht das kommende „screenlose“ Zeitalter für Kunden und Unternehmen aus?
Wir werden wieder mit unserer ursprünglichen Sprache kommunizieren, sprich über die Stimme, Gesten oder auch Gedanken und brauchen dafür nicht mehr ständig das Smartphone in der Hand zu halten. Auf Zuruf schalten wir Lichter ein und aus, lassen das Auto selbständig in eine enge Parklücke navigieren oder bestellen mit unseren Gedanken und Augenbewegungen, die eine Datenbrille erfasst und in Befehle umwandelt, beim Lieferservice eine Pizza. Dadurch wird unser Alltag insgesamt einfacher, viele Prozesse automatisieren sich. Nötig sind dafür mehrere Technologien gleichzeitig, um Handbewegungen, Gesten oder auch Augenbewegungen richtig zu deuten und nicht mit anderen Bedeutungen zu verwechseln. In diese Bereiche – Artificial Intelligence und Interface Analytics – investieren alle großen Unternehmen wie Google, Amazon & Co. gerade enorme Summen.
Können solche „Assistive Systems“ denn wirklich intelligenter sein als der Mensch?
Ja, wenn sie über mehr Daten verfügen als der Mensch. Wenn ich heute aus Wien mit dem Auto nach Salzburg fahre, weiß mein Navigationssystem besser als ich, ob ich im Stau lande und deshalb lieber die Bahn nehmen sollte. Was also die Menge der Datenverarbeitung betrifft, ist die Maschine immer im Vorteil. Sicher könnte der Mensch auch ohne die Technik sein Ziel erreichen. Aber wenn Technologie dabei hilft zu erkennen, was hinter Mauern oder in weiter Entfernung geschieht – Dinge, die ein Mensch allein nie sehen könnte –, nutzen wir das. Gegen verbesserte und neue Technologien werden wir uns deshalb wahrscheinlich ebenso wenig wehren wie gegen den Stein, mit dem unsere Vorfahren die Nuss aufklopften.
Wie lange dauert es noch, bis wir gar keine Touchscreens mehr brauchen?
In den Medien klingt es oft so, als stünde die Revolution direkt bevor. Allerdings sind viele Visionen schon sehr alt, auch an Kleidung mit Sensoren wird bereits seit über 20 Jahren geforscht und entwickelt. Bis screenlose Kerntechnologien, Artificial Intelligence und assistierende Systeme über Motorik, Sensorik oder Gehirnstrommessung übergreifend zusammenarbeiten, können durchaus noch einige Jahrzehnte vergehen. Als sehr spannend empfinde ich dabei, wie diskutiert wird: Wir haben entweder eine Digitalisierungseuphorie oder eine Digitalisierungspanik, die einen Big Brother-Überwachungsstaat beschreibt. In Österreich und anderen Ländern Europas überwiegt aktuell noch das negative Szenario. Dabei zeigen viele erfolgreiche Start-ups, auch in Österreich, welche positive Entwicklungsmöglichkeiten die Digitalisierung mit sich bringt. Aber die wirklich innovativen Ideen kommen zurzeit aus den USA oder China.
„Gegen verbesserte und neue Technologien werden wir uns deshalb wahrscheinlich ebenso wenig wehren wie gegen den Stein, mit dem unsere Vorfahren die Nuss aufklopften.“Andreas Hladky, Gründer und Consultant bei Point of Origin in Wien
Sie beraten Unternehmen zum Thema Business Transformation. Mit welchen Problemen und Aufgaben treten Ihre Kunden an Sie heran?
Die meisten Kunden sind Unternehmen mit langer Tradition und stabilen Geschäftsmodellen. Seit einigen Jahren registrieren sie starke Veränderungen – neue Player sind am Markt, Startups oder Firmen aus anderen Branchen mit ganz neuartigen Produkten. Unsere Kunden kommen zu uns, um auf diesen Wandel zu reagieren. Ab diesem Zeitpunkt wird es aber auch schwer. Etablierte Unternehmen müssen plötzlich ihr Geschäftsmodell hinterfragen, ihre Produkte und internen Prozesse. Wir beraten bei allen Kernfragen und entwickeln gemeinsam und abteilungsübergreifend Lösungen. Wir selbst haben uns übrigens auch gewandelt. Begonnen hatten wir mit Datentechnologisierung, heute wissen wir, dass die Bereiche Strategie, Kultur und Organisation zu neuen digitalen Geschäftslogiken dazugehören.
Wie werden mitdenkende Algorithmen die Abläufe in Unternehmen verändern?
Die Unternehmen brauchen sich nicht mehr um das zu kümmern, was heute viel Zeit in Anspruch nimmt wie ständiges Trouble Shooting, lange Datenabgleiche zwischen verschiedenen Systemen oder das Abarbeiten von kilometerlangen Änderungs- und Update-Anforderungen. Diese bisher manuellen Tätigkeiten erledigen automatisierte Prozesse dezent im Hintergrund. Auch bei Google wird das Geld längst durch automatisierte Prozesse praktisch von allein verdient. Die Mitarbeiter werden gebraucht, um sich mit neuen Geschäftsmodellen und der Weiterentwicklung des Unternehmens zu beschäftigen. Somit gewinnen die Unternehmen Freiräume, um sich auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren.
Welche Vorteile hätte der Kunde?
Die Abläufe vereinfachen sich. Der Kunde kann automatisiert zu jeder Tages- und Nachtzeit noch weitaus qualifiziertere Geschäfte im Internet erledigen als heute. Er kann seine Krankenakte einsehen, sich im Spital anmelden oder komplexe Verträge abschließen. Aktuell haben wir aber noch zwei stark konkurrierende Versionen zu dieser Zukunft. Viel gesprochen wird über Big-Brother-Theorien und einen Überwachungsstaat als Folge. Die zweite Vision, ein Hoffnungsszenario, wird eigentlich nie thematisiert, obwohl wir Menschen darin stärker zu dem kommen, was wir eigentlich wollen. Dabei entwerfen Unternehmen im Silicon Valley längst Arbeitsmodelle und neue Jobs, mit denen wir noch glücklicher sein könnten und die Digitalisierung als Werkzeug für uns selber nutzen. Dieser Prozess ist aber der schwierigere. Wir müssten nachdenken, wie wir eigentlich leben wollen und auch unbequeme Logiken anstoßen. Das wollen wir natürlich nicht und mahnen stattdessen: Big Brother is watching you!
Wie verändern Algorithmen die Kundenbeziehung?
Künstliche Intelligenz hilft dem Marketing und damit auch dem Unternehmen, genauer zu erfahren, wer ihr Kunde ist, was er möchte und welche der Produkte und Services gut bei ihm ankommen, so dass er wirklich zufrieden ist. Wir sprechen dabei von Marketing Intelligence. Das bedeutet also zu wissen, welche Botschaften funktionieren oder welche Angebote Klicks oder Käufe auslösen und welche nicht. Dadurch trägt Marketing Intelligence auch zu einer besseren Customer Experience bei. Gerade in den Bereichen Finanzen, Finanzierungen und Versicherungen, in denen es um Vertrauen und positive Emotionen geht, lassen sich viele neue und kluge digitale Produkte und Services entwerfen, die noch passgenauer für den Kunden sind.
Aber könnten solche superintelligenten Marketinginstrumente nicht andere Ziele haben als wir Verbraucher?
Wir werden damit leben müssen, dass alles, was digital ist, manipulierbar ist. Und dass es auch immer jemanden geben wird, der Grenzen überschreitet, bis die Gesetzgebung einen Riegel davorschiebt. Deshalb brauchen wir schon heute neue Regeln, die aber viel weiter gehen als das, was wir kennen. Nicht nur in punkto Datenschutz – die Frage muss auch lauten: Wollen wir es kommerziellen Unternehmen wirklich erlauben, dass sie zum Beispiel mit gewaltverherrlichenden Bildern, mit Fake-News oder Hetze Erfolg haben? Und sie diese Nachrichten um die Welt schicken und damit auch die Meinung der öffentlichen Wahrnehmung beeinflussen können? Oder wollen wir Algorithmen, die entscheiden, dass ein anderer Blick auf die Welt relevanter ist?
Ließen sich denn Algorithmen nach moralischen Prinzipien programmieren?
Wenn wir uns an unsere demokratischen Werte halten, kommen wir nicht umhin, hierüber Debatten zu führen. Zwei Milliarden Menschen auf Facebook sind auch im gesetzlichen Sinne durchaus eine relevante Öffentlichkeit. Früher wurde diese Position von den Medien wahrgenommen, die nach dem Pressekodex zum Beispiel brutale Bilder nicht veröffentlicht hätten. Noch fehlt ein solcher Kodex in den sozialen Medien. Wir glauben immer noch, dass wir nicht das Recht haben, kommerziellen Unternehmer vorzuschreiben, wonach sie optimieren dürfen. Warum eigentlich nicht? Ich halte das für überholt.
Sind Unternehmen und Behörden in Österreich auf diesen digitalen Wandel vorbereitet?
Ich denke, dass die Dimension des Wandels vielen Beteiligten klar ist, aber viele Unternehmen und auch Regierungsvertreter noch nicht wissen, wie sie mit diesen Kenntnissen umgehen sollen. Wir stehen vor einem revolutionären Systemwandel, der die Welt ebenso verändert hat wie damals der Buchdruck – nur 50 Mal schneller. Was wir dringend brauchen, sind neue Antworten sowie neue Regeln und Gesetze, die nach den Logiken des Webs funktionieren. Unsere Politiker fliegen regelmäßig ins Silicon Valley und schauen sich dort um, aber ernsthafte und durchdachte Pläne, wem die Digitalisierung letztlich nützen soll, sind nicht zu erkennen. Wir haben eine neue Technologie, die wir mit alten Normen, Klagen und Verboten in den Griff bekommen wollen. Das wird nicht gelingen. Unsere Taxifahrer verklagen Uber, aber überlegen nicht, warum Uber erfolgreich ist. Das ist die Crux: Wir verwenden alte Denkmuster für neue Technologien und überlassen es jenen, die diese alten Denkmuster abstreifen konnten, die neue Welt zu bauen. Darüber laufen wir Gefahr, unfassbar große Geschäftschancen auch für neue Produkte nach unseren Werten zu verpassen. Ein neues europäisches Facebook, das die Daten nicht so sammelt wie heute, ist nur ein Beispiel.
ZUR PERSON
Andreas Hladky, Gründer und Consultant des Wiener Marketing Consulting & Consumer Intelligence-Baratungsunternehmens Point of Origin, außerdem zuständig für Researchkooperationen unter anderem mit der Wharton University of Pennsylvania und dem Bostoner MIT. Mehr Informationen: pointoforigin.at
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