Eine Frau rollt ihren Weg:
Marianne Hengl und RollOn Austria

Sie ist wahrscheinlich die bekannteste Rollstuhlfahrerin Österreichs. Seit mehr als 30 Jahren setzt sich Marianne Hengl mit dem Verein RollOn Austria für behinderte Menschen ein. Wir sprachen mit ihr über ihre Arbeit und ihre Sendung „Stehaufmenschen”.

Marianne Hengl im Büro von RollOn Austria
©DieFotografen

Marianne Hengl im Büro von RollOn Austria

Frau Hengl, auf der Webseite von RollOn Austria steht neben dem Namen des Vereins der Satz „Wir sind behindert“. Sie haben also keine Probleme mit dem Wort „behindert”?

Ganz im Gegenteil. Ich bin ja selber körperlich schwer beeinträchtigt und mir geht es extrem auf die Nerven, wenn ständig versucht wird, eine andere Bezeichnung für “behindert” zu finden. Wir haben keinen Grund, uns zu verstecken oder uns zu schämen, weil wir behindert werden und dadurch behindert sind. Das Wort ”Behinderung” ist für mich kein Stigma. Wichtig für uns Menschen mit Behinderungen ist, dass wir selbstbewusst und selbstbestimmt leben können.  

Online-Kampagne von RollOn Austria aus dem Jahr 2021

Online-Kampagne von RollOn Austria aus dem Jahr 2021

RollOn vertritt die Interessen von behinderten Menschen in Österreich. Was sind die wichtigsten Aufgaben, mit denen sich der Verein beschäftigt?

Wichtigste Aufgabe ist die Öffentlichkeitsarbeit. Wir initiieren Kampagnen mit Werbespots, Plakaten und Inseraten. Wir geben Menschen mit Behinderungen ein Gesicht, zum Beispiel mit der ORF-Fernsehsendung „Gipfel-Sieg” oder der Radiosendung ”Stehaufmenschen”, die jetzt auch für das ORF2-Fernsehen produziert wird, mit mir als Moderatorin.

Worum geht es beim „Gipfel-Sieg”?

Dort kommen, moderiert von Barbara Stöckl, ein behinderter und ein prominenter Mensch zusammen, um über die Höhen und Tiefen im Leben zu sprechen. Dabei stellt sich oft heraus, dass der behinderte Mensch zufriedener ist. Es ist spannend zu sehen, was man aus einer schwierigen Situation alles machen kann. Wenn man an sich glaubt und Chancen bekommt, kann man auch als Mensch mit Behinderungen die Welt auf den Kopf stellen. 

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Erste TV-Sendung „Stehaufmenschen” mit Landwirt Bruno Lemberger

Ja, in der Radiosendung. In der Fernsehsendung sind wir zu zweit. Wir sprechen mit Menschen, die im Leben sehr gefordert worden sind. Das kann beispielsweise eine Person sein, die an Krebs erkrankt und schon totgesagt worden ist und sich wieder aufgerappelt hat.

Was ist die Idee hinter der Sendung?

Viele Menschen sind unzufrieden, weil sie glauben, dass sie Erfolg haben müssen, dass alles passen muss, um im Leben glücklich zu sein. Und das stimmt nicht. Gerade wer in die Tiefe fällt, kann auch die vielen Lichtblicke im Leben besser schätzen. Von den Medien werden meiner Meinung die falschen Vorbilder ins Rampenlicht gestellt: Oberflächliche Stars, die vom Leben wenig wissen. Deshalb ist es mir wichtig, Menschen vor den Vorhang zu holen, die große Herausforderungen überwinden mussten und die wieder aufgestanden sind.

Gibt es auch politische Forderungen, die der Verein verfolgt?

 Das ist nicht unser Schwerpunkt. Aber wenn Menschen diskriminiert werden, schreien wir auf. Dann setzen wir unser „goldenes Netzwerk” ein. Dieses Netzwerk hilft uns, viele schwierige Knoten zu lösen. Wir nutzen es auch, um Arbeitsplätze zu vermitteln. Damit sind wir sehr erfolgreich. Auch an Wüstenrot haben wir mal einen schwerbehinderten Menschen vermittelt. 

Welche Verbindung gibt es zwischen Wüstenrot und RollOn?

Mit der Generaldirektorin, Frau Dr. Susanne Riess, verbindet mich seit mehr als 20 Jahren eine große Freundschaft. Sie hat sich immer sehr für unsere Arbeit und für Menschen mit Behinderungen interessiert. Sie hat veranlasst, dass Wüstenrot seit vielen Jahren zur Finanzierung einer Sekretärin für mich beiträgt. Die Mitarbeiter von RollOn werden alle von Sponsoren getragen. 

Ehrenzeichen an Generaldirektorin von Wüstenrot

Im vergangenen November erhielt Wüstenrot Generaldirektorin Dr. Susanne Riess das RollOn-Ehrenzeichen. Bei der Verleihung hob sie die besondere Bedeutung des Vereins und dieser Ehrung hervor: „Für mich ist das RollOn-Ehrenzeichen meine wertvollste Auszeichnung, weil es für das Unternehmen Wüstenrot und für mich persönlich eine Ehre und Freude ist, Marianne Hengl und Jurij Pfauser bei ihrer Arbeit für Menschen mit Behinderungen zu unterstützen. In den 25 Jahren meiner Freundschaft mit Marianne habe ich viele wertvolle Begegnungen mit Menschen erleben dürfen, die dank RollOn neue Chancen eröffnet bekommen haben. Ich bin stolz, dass wir dazu einen kleinen Beitrag leisten können und wir werden das auch in Zukunft mit großer Freude tun.“

Arbeiten Sie hauptberuflich oder ehrenamtlich für den Verein?

Seit sechs Jahren arbeite ich hauptberuflich für den Verein. Zuvor hatte ich 26 Jahre ehrenamtlich gearbeitet und mein Geld mit einem anderen Job verdient. Ich habe für die Sozialen Diensten der Kapuziner (SLW) gearbeitet, erst im Sekretariat und in der Öffentlichkeitsarbeit, zuletzt als „Fundraiserin”. Daneben habe ich den Verein aufgebaut. Aber als ich Geschäftsführerin des Vereins wurde und der Arbeitsaufwand so explodiert ist, habe ich meinen Vollzeit-Job nach 35 Dienstjahren gekündigt. 

Wenn man auf die Webseite des Vereins schaut, hat man den Eindruck, Sie schmeißen den Laden fast alleine. Wer gehört noch zu RollOn?

Wir haben heute 470 Mitglieder. In unserem Vorstand  sind wir zu viert. Ich habe einen großartigen Stellvertreter an meiner Seite und ein tolles Mitarbeiter-Team von zwölf Personen. Einen großen Teil mache schon ich selber. Ich würde mir sehr wünschen, dass sich Betroffene mehr engagieren. Früher oder später werde ich hoffentlich jemanden finden, der gemeinsam mit meinem heutigen Stellvertreter meine Nachfolge antritt. 

Marianne Hengl und ihre Mitstreiter von RollOn Austria
©DieFotografen

Marianne Hengl und ihre Mitstreiter von RollOn Austria

Sie wurden mit einer Gelenkversteifung an allen Gliedmaßen geboren. Was bedeutet das für ihren Alltag? Wo sind Sie auf Hilfe anderer Menschen angewiesen?

Ich sitze im Rollstuhl und bin an beiden Armen schwer beeinträchtigt. Ich brauche Unterstützung bei vielen täglichen Verrichtungen, beim Anziehen in der Früh, beim Zähneputzen, der Körperpflege, beim Essen. Ich kann nicht selbst Autofahren. Am Computer schreiben dagegen kann ich perfekt und mich mit einem Hilfsmittel selbstständig schminken.

Apropos: Sie haben einen eigenen Kleidungs- und Frisurstil. Wie würden Sie den beschreiben?

Ja, das stimmt, ich will flippig und rockig aussehen, das ist mir sehr wichtig. So wie der ganze Körper außerhalb der Norm ist, soll es auch meine Frisur sein.