Autos der Zukunft:
„Mobilitätsangebot à la Netflix“

Der preisgekrönte Designer Marek Simko suchte für seine Arbeit eine Sammlung zukunftsweisender Autodesign-Konzepte. Weil er keine fand, erstellte er selbst eine. 2018 erschien sein Buch „Driven“: Mehr als 200 Seiten voller ästhetischer Entwürfe, die erahnen lassen, wie Mobilität in Zukunft aussieht.

Marek Simko weiß, wie wichtig das Design für den Erfolg eines Autos ist: „Wir treffen unsere Kaufentscheidungen auf der Basis von Emotionen und das Fahrzeugdesign wiederum triggert diese Emotionen."
© KISKA / Pascal Rössler

Marek Simko weiß, wie wichtig das Design für den Erfolg eines Autos ist: „Wir treffen unsere Kaufentscheidungen auf der Basis von Emotionen und das Fahrzeugdesign wiederum triggert diese Emotionen."

Herr Simko, was fasziniert Sie so sehr am Autodesign?

Autos sind Objekte, die uns beim Ansehen und Fahren begeistern. Ich bin in den 1980er Jahren im Ostblock aufgewachsen. Außer Škodas, Wartburgs, Trabis, Wolgas und Ladas gab es keine weiteren Autos. Überschaubare und omnipräsente Knappheit! Wenn ich hin und wieder ein westliches Auto zu sehen bekam, fühlte ich mich wie in die Zukunft gebeamt. 1985 sah ich den Fiat Ritmo. Dieses Auto hatte runde Türöffner, das war damals einzigartig. Zwei Jahre später wurde der Škoda Favorit vorgestellt. Das Styling war so modern, frisch und anders als alles bisher Dagewesene. Ich weiß noch, wie die Menschen in der damaligen ČSSR sich auf Wartelisten setzen ließen, um an dieses Modell kommen zu können. Das Design spielt für Autohersteller eine entscheidende Rolle und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Wir treffen unsere Kaufentscheidungen auf der Basis von Emotionen und das Fahrzeugdesign wiederum triggert diese Emotionen.

Sie sind in der Designagentur KISKA für Detaildesign und technisches Zubehör der Fahrzeughersteller Husqvarna Motorcycles und KTM zuständig. Was ist Ihre Aufgabe?

Im Prinzip arbeiten wir ähnlich wie in einem Inhouse-Designteam eines Autoherstellers. Der Unterschied ist, dass wir für mehrere Auftraggeber tätig sind, da KISKA eine ganzheitliche Markenberatungsagentur ist. Meist braucht der Kunde ein Produkt für ein bestimmtes Segment oder will ein bestehendes verbessern. Wir stürzen uns aber nicht sofort aufs Design, sondern prüfen, ob es tatsächlich einer Überarbeitung des Produkts bedarf oder ob es anders kommuniziert werden muss. Manchmal ist ein Produkt auch falsch positioniert. Wenn ein Hersteller von Mineralwasser eine billig aussehende Flasche ausschließlich an gehobene Restaurants verkaufen möchte, hat das Auswirkungen auf die Performance des Produkts.

Mit seinem Buch „Driven" will Marek Simko die Konzeptstudien einem größeren Publikum zugänglich machen. Der hier gezeigte Entwurf stammt von Lukas Haag von 2014 für das Jahr 2029.
© Thomas Sturm

Mit seinem Buch „Driven" will Marek Simko die Konzeptstudien einem größeren Publikum zugänglich machen. Der hier gezeigte Entwurf stammt von Lukas Haag von 2014 für das Jahr 2029.

In Ihrem Buch „Driven“ stellen Sie 17 herausragende Autodesign-Konzepte vor. Wie kam es dazu?

In meiner Arbeit als Designer fand ich immer wieder Impulse in den Arbeiten herausragender Studienabsolventen des Fachs Transportation Design. Viele von diesen Arbeiten haben sowohl ein stimmiges Konzept als auch eine frische, den Zeitgeist widerspiegelnde Formensprache. Diese Projekte waren aber nur einem kleinen Publikum zugänglich, das wollte ich ändern – zuerst in Form eines Blogs, den ich seit mehr als zehn Jahren beinahe täglich aktualisiere, und nun als Buch. Das Format eignet sich dafür ausgezeichnet, weil es den ganzen Prozess – von der Idee über die Konzeptfindung bis zur Ausarbeitung – gut einfängt.

Worauf haben Sie als Industriedesigner besonders geachtet? 


Das, was wir heute auf der Straße fahren sehen, ist nur eine homöopathische Dosis dessen, was man sich unter einem Auto vorstellen kann. Es sind Konzepte, die seit 50 Jahren unverändert sind – sogar die Elektroautos folgen dem gleichen Schema. Vieles von dem, was machbar wäre, ist für die heutigen Kunden zu progressiv, oder auch unter den aktuellen wirtschaftlichen Bedingungen nicht realisierbar. Was in „Driven“ vorgestellt wird, muss sich diesen Kriterien nicht stellen. Bei der Auswahl der einzelnen Projekte ging es klar um zwei Bereiche: ein eigenständiges Konzept und eine neuartige Formensprache. Alle im Buch vorgestellten Arbeiten weisen diese beiden Komponenten auf. Angefangen bei einem Ein-Liter-Rennwagen über ein Fahrzeug für Krisenregionen bis hin zu einer Le-Mans-Rennwagenstudie ist für jeden etwas dabei.

Futuristisch: Der Audi Truck von Artem Smirnov und Vladimir Panchenko fährt autonom und mit elektrischem Antrieb.
© Thomas Sturm

Futuristisch: Der Audi Truck von Artem Smirnov und Vladimir Panchenko fährt autonom und mit elektrischem Antrieb.

Für die Laien unter uns: Wozu dienen solche Konzeptstudien?

Der Zweck von Konzeptstudien variiert von Hersteller zu Hersteller. Manche Hersteller möchten ihr Publikum auf ein kommendes Modell vorbereiten – dann handelt es sich bereits um ein Automodell, das komplett entwickelt wurde und demnächst auf den Markt kommen wird. Bei einem solchen Auto sind vielleicht einige Details noch nicht seriennah – das können Kameras statt Außenrückspiegel sein, oder aber ein luftigeres Interior, das nicht alle voluminösen Komponenten wie Klimaanlage und passive Sicherheitselemente berücksichtigt. Hersteller wie Renault zeigen gerne gleich eine ganze Familie von sogenannten „Concept Cars“, meist um die neue Designrichtung einer Marke einzuläuten. Dieser Prozess passiert manchmal über mehrere Jahre hinweg, um sowohl dem Management als auch den Käufern eine neue Ära aufzuzeigen. So soll demonstriert werden, wie sich Firmenwerte in einer neuen Formensprache niederschlagen und wohin sich der Fokus – und somit das Fahrzeugstyling – einer Marke entwickeln wird. In der Regel dauert eine Fahrzeugentwicklung zwischen drei und fünf Jahren.

Haben Sie ein Lieblingsprojekt?

Ich liebe alle im Buch vorgestellten Projekte. Und ich hätte am liebsten noch weitere Projekte reingepackt, aber dann wären wir auf einen Umfang von mehr als 300 Seiten gekommen. Lassen Sie mich vielleicht nur eines herauspicken: Opel H ist ein Fahrzeug, das wunderbar die Gestaltungsfreiheiten eines E-Mobils aufzeigt, das auf autonomes Fahren mit hohem Tempo ausgelegt ist. Die Passagiere scheinen wie auf einem Sofa über den Asphaltteppich zu fliegen. Es gibt keine Seitentüren, einsteigen kann man entweder vorne oder hinten. Das Projekt Opel H ist für mich ein sehr gutes Beispiel dafür, in welche Richtung sich neue Fahrzeugideen weiterentwickeln könnten und wie sich deren Architektur auf Basis neuartiger Antriebe und Technologien verändern könnte.

Überzeugendes Design: Roman Zenin hat sich beim Opel H vom Katamaran inspirieren lassen.
© Roman Zenin

Überzeugendes Design: Roman Zenin hat sich beim Opel H vom Katamaran inspirieren lassen.

Was muss ein Auto-Designer hinsichtlich dieser neuen Trends und Technologien berücksichtigen?

Der Wegfall mechanischer Teile beispielsweise bei einem Elektroauto bringt einen Zugewinn an nutzbarem Raum oder sogar eine Neudefinition des Innenraums. Bei dem Opel H etwa sitzt der Antrieb in den Radnaben und nicht mehr hinter der Fahrgastzelle, dadurch ist eine komplett neue Architektur des Fahrzeugs möglich. Der Freiraum erweitert sich. Der Fahrzeugdesigner muss dementsprechend das Fahrzeug neu denken. Zudem muss er sich künftig in mehreren Branchen auskennen: in der Technik,  also der Hardware, dann in der Software, Ergonomie und der Produktion. Am Wichtigsten aber ist es, die Welt mit den Augen des Kunden zu sehen und zu verstehen, wie dieser seine Zeit im und außerhalb des Autos verbringt. Ist das Auto für ihn ein Produkt, über dessen Besitz er sich definiert, oder ist es lediglich ein Gebrauchsgegenstand?

Ihr Anliegen war es, die „nächste Ebene” im Autodesign zu entdecken. Ist Ihnen das gelungen?

Ich denke, diese nächste Ebene ist das, was die meisten Fahrzeuge in „Driven“ gemeinsam haben: Das Projekt Audi Ultra etwa ist eine ultraleichte Konstruktion mit vier kleinen Radnabenmotoren – eine Art Hightech-Seifenkiste, die gut zwanzigmal in ein Zugabteil passt, weil sie vertikal gestapelt werden kann. Der Sinn des Ganzen: Sie können mit dem Zug aus der übervollen Stadt fliehen und auf Straßen abseits der Massen herumflitzen. Der Designer möchte den Fahrer einladen, mit einem äußerst leichten und einfach gebauten Fahrzeug wieder Spaß am Fahren zu haben und ehrliche Geschwindigkeiten ohne elektronischen Schnickschnack zu genießen. Solche Ideen inspirieren mich, um aus gewohnten Bahnen auszubrechen und auch bei der Konstruktion eines Fahrzeugs komplett neue Wege zu gehen!


Neuinterpretation: Arseny Kostromin hat das Design der Rennwagenlegende Alpine fit für die Zukunft gemacht.
© KISKA / Pascal Rössler

Neuinterpretation: Arseny Kostromin hat das Design der Rennwagenlegende Alpine fit für die Zukunft gemacht.

Schauen wir ins Jahr 2025: Was erwarten Sie vom Auto der Zukunft?

Nichts, was ein konkretes Fahrzeug angeht. Für mich geht es mehr um die Weiterentwicklung des gesamten Mobilitätsangebots eines Herstellers. Wir müssen über das Produkt hinausdenken! Tradierte Hersteller wie BMW oder Mercedes verkaufen dann nicht mehr ein Auto, sondern Mobilität. Als Kunde besitze ich kein Privatauto mehr, sondern bezahle für das, was ich gerade nutze: Für die Strecke bis zum Bäcker kann das ein Skateboard sein, am Tag darauf brauche ich vielleicht einen Transportwagen und zum Theaterbesuch fahre ich den alten BMW aus den 1960er Jahren. „Mobility as a Service“ ist das Thema, also die Mobilität als Dienstleistung. Denken Sie nur an ein monatliches Abo à la Netflix: Dann können Sie bei einem Wochenendbesuch einer Stadt wie Wien aus einem breiten Mobilitätsangebot wählen.


Klingt futuristisch. Wie könnte ein Auto aussehen, das Teil eines solchen Mobilitätsangebots ist?

Ich bin selbst gespannt, wie ein solches Angebot das Fahrzeugdesign beeinflussen wird. Bereits die Visualisierung eines solchen Konzeptes ist aufregend: Was, wenn mich ein vollautonomer Shuttle vom Flughafen in die Stadt bringt? Ein selbstfahrender Powernap-Cocoon. Das Interior stellt sich mit Beleuchtung und Sound auf meine Laune ein. Während der Fahrt ins Stadtzentrum kann ich mich 30 Minuten lang hinlegen und ausruhen. Beim Aussteigen bekomme ich einen Vorschlag für den bevorstehenden Abend in Form eines Videos auf mein Smartphone und bin voller Power für den Abend. Ich bin sehr gespannt, wie Mobility as a Service vom Publikum aufgenommen werden wird. Wenn AirBnB heute mehr wert ist als die teuerste Hotelkette der Welt, dann nagt das an der Substanz der gesamten Branche. Dasselbe wird auch in der Automobilbranche passieren.

Gibt es in diesem Mobilitätsszenario der Zukunft auch etwas, das künftig wegfallen wird?

Nein, ich würde nichts ausschließen. Im Gegenteil. Ich würde das Angebot vergrößern. Vom Micro-Scooter bis zum Schlauchboot. Vom 1963er Porsche 911 bis zum Spaceshuttle. Aber da sprechen wir eher vom Jahr 2050 als von 2025.

© SIMKOM

ZUR PERSON

Marek Simko ist seit 2014 Lead Designer bei der Designagentur KISKA in Salzburg. Er hat Produkten von Atomic, BMW, Porsche und Sony Aussehen und Charakter verliehen. Auf der Plattform simkom.com präsentiert der preisgekrönte Designer seit 2005 seine persönlichen Highlights im Auto- und Produktdesign.