„Start-ups sind für uns Ideengeber“

Mitten in Wien hat Europas größter Start-up-Hub eröffnet. Bei weXelerate arbeiten etablierte Unternehmen wie Wüstenrot mit innovativen Start-ups gemeinsam an der Zukunft.

© Marcel Köhler

​Noch ist der Prototyp, den Valentin Jilch in seiner Hand hält, etwas zu dick. Ein kleines Display und vier Tastenfelder sind auf einer Platine zu erkennen. In wenigen Wochen aber soll das kleine Board soweit geschrumpft sein, dass sich die Form nicht mehr von einer gewöhnlichen Kreditkarte unterscheiden lässt. „Wir entwickeln eine Karte mit Display- und Touchbedienung, auf der der Konsument all seine Zahlungs- und Kundenkarten speichern kann und dann nur noch eine einzelne Karte im Handel verwenden muss“, sagt der Mitgründer von Handcheque

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Handcheque ist eines von 55 Unternehmen, die sich für die Dauer des Accelerator-Programms im neu eröffneten Wiener Start-up-Hub weXelerate aufhalten. Im Nouvel-Tower am Schweden-Platz finden die Start-ups ideale Bedingungen, um ihre Innovationen zur Marktreife weiterzuentwickeln. „Wir verstehen uns als ein Innovationszentrum, wo unterschiedliche Player, unterschiedliche Stakeholder des Ökosystems angedockt sind“, erklärt Stephan Jung, CEO von weXelerate (zum Interview). Eine wichtige Rolle spielen die Corporate-Partner, etablierte Firmen, die erkannt haben, dass es für sie von Vorteil ist, mit jungen Unternehmen eng zusammenzuarbeiten.​

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„Die Start-ups sind für uns die Ideengeber für unsere Umsetzung“, sagt Mag. Erwin Mollnhuber, Vorstandsdirektor von Wüstenrot. „Wir sind ein sehr in Strukturen denkendes und klar strukturiertes Unternehmen. Und da braucht es sozusagen frischen Wind, der von außen hereinkommt und komplett unvoreingenommen an Ideen herangeht, die wir unserem Haus in diesem Ausmaß gar nicht machen können. Diese Kombination aus der klassischen Welt mit der kreativen Welt soll uns dazu helfen auf neue Ideen und Lösungen zu kommen.“

Wüstenrot gehört zum Initiatorenkreis von weXelerate. Die Idee entstand im Rahmen einer Reise ins Silicon Valley. „Wir haben uns dort Start-up-Plattformen angesehen, wo sich junge Unternehmen mit ihren Ideen präsentiert haben“, erzählt Wüstenrot Generaldirektorin Dr. Susanne Riess. „Und anschließend kam in einer Runde die Frage auf: Warum machen wir das nicht auch in Österreich? Das war die Geburtsstunde von weXelerate.“

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Künstliche Intelligenz optimiert Schadensprozesse

Ein Jahr später ist Wüstenrot einer von 16 Corporate-Partnern, die Start-ups aus 14 Nationen bei ihrer Entwicklung unterstützen. Eine Etage unter dem Büro von Handcheque sitzt Lex Tan Yih Liang, CEO von Motionscloud. Sein Team hat eine automatisierte Softwarelösung zur Schadensregulierung entwickelt. „Motionscloud gestaltet Schadensprozesse effizienter, indem sie mobile Technologie, künstliche Intelligenz und Videokommunikation einsetzt und diese einfach mit dem Schadensregulierungssystem eines Versicherers verknüpft“, erklärt der junge Gründer. Bei weXelerate will Lex mit seinem Team die Lösung so anpassen, dass sie Wüstenrot dabei hilft, die Herausforderungen des digitalen Wandels besser zu bewältigen. 

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Zum optimalen Austausch trägt auch die Architektur von weXelerate bei. „Auf den 9000 Quadratmetern haben wir Meeting-Boxen und Sessel-Landschaften, wo man sich einfach und informell treffen kann“, sagt Jung. „Wir etablieren unser Zentrum so zu einem Hub im besten Sinne. Wenn beispielsweise eine bekannte Person aus der Start-up-Szene einen Termin mit einem unserer Mieter hat, trifft sie auf dem Weg dorthin noch fünf, sechs weitere Leute, mit denen möglicherweise noch der ein oder andere Punkt zu besprechen ist. Das kann dort auf kurzem Weg erfolgen und ist natürlich ideal.“

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Auch Stephan Soehnle ist mit dem Umfeld zufrieden. „Insbesondere die Zusammenarbeit mit Wüstenrot klappt sehr gut“, sagt der Mitgründer und Geschäftsführer von 5Analytics. Sein Start-up hat sich zum Ziel gesetzt, künstliche Intelligenz in Unternehmensprozesse zu integrieren. Als Beispiel nennt er Dialoge auf Webseiten. „Hier kann es vorkommen, dass eine Kunde nicht alle Angaben hundertprozentig korrekt macht. Unsere Lösung identifiziert die Lücken und fordert den Kunden automatisiert in einer zweiten Ansprache dazu auf, den Prozess noch einmal abzuschließen. Da das automatisiert passiert, sparen unsere Partner Personalressourcen“, erklärt Soehnle. Mit Wüstenrot habe man bereits einen ersten Anwendungsfall besprochen und einen Zeitrahmen festgelegt. „Was Besseres könnte ich mir gerade eigentlich nicht wünschen.“

Echte Zusammenarbeit, keine PR

„Die ‚Großen’ haben ein gesteigertes Interesse vom gemeinsamen Arbeiten mit all den jungen Unternehmen zu profitieren und zu lernen“, bestätigt auch Stephan Jung. „Dass hier alle unter einem Dach stecken, ist keine PR-Maßnahme. Im Vordergrund steht eine echte Zusammenarbeit in Bezug auf Produkte, Geschäftsmodelle und Services.“

Im Fall von Handcheque kann Wüstenrot zwar wenig zu dem technologischen Ziel beisteuern, die Karte dünner als einen Millimeter zu machen, dafür bringt sich der Finanzdienstleister mit seinem Know-how und Leistungsangebot ins Spiel. „Wir hatten das Glück, dass wir Wüstenrot bereits vor weXelerate getroffen und als kompetenten Partner kennengelernt haben“, sagt Jilch. „Durch Wüstenrot sind wir in der Lage, die spezifischen Versicherungsleistungen, die unser Produkt erfordert, anzubieten.“ Im Rahmen des Accelerator-Programms hoffe er nun, mit Wüstenrot noch tiefer in die Kooperation gehen zu können.

Bis Mitte Januar 2018 haben die drei Gründer noch Zeit, dann warten neue Start-ups auf ihre Chance, bei weXelerate ihre Idee voranzutreiben. „Für den ersten Batch hatten wir über 1000 Bewerbungen aus 72 Nationen“, erinnert sich Jung. „Wir haben einfach gemerkt, dass Österreich einen großen, gemeinsamen Punkt für Start-ups braucht. Einen Punkt, der große Strahlkraft hat – und am Ende ist weXelerate dabei herausgekommen.“