Fit für die Arbeitswelt von morgen:
„Querdenken hilft immer“

Die Digitalisierung erfordert von uns neue Kompetenzen für die Arbeitswelt, hat Personal-Expertin Svenja Hofert festgestellt. Im Gespräch mit MEIN LEBEN verrät sie, warum „Updates“ obsolet sind, wie man das Bauchgefühl stärken kann und was das alles mit dem persönlichen Glück zu tun hat.

Schluss mit Updates: Personal-Expertin Svenja Hofert fordert zum Neudenken auf.
© Faceland / Nikolai Brinkmann

Schluss mit Updates: Personal-Expertin Svenja Hofert fordert zum Neudenken auf.

Svenja Hofert weiß, worauf es in der Kompetenzentwicklung und bei einer erfolgreichen Berufslaufbahn in Zukunft ankommt. Die Autorin von 35 Fach- und Sachbüchern ist Expertin in Sachen beruflicher und persönlicher Entwicklung. In ihrem neuesten Buch „Mindshift: Mach dich fit für die Arbeitswelt von morgen“ (ab 13. März 2019) zeigt die Management- und Karriereberaterin, wie jeder Einzelne im Zeitalter der Digitalisierung seine Kreativität stärken und so die neuen Technologien für sich nutzen kann.

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) sieht in den neuen technologischen Errungenschaften wie künstliche Intelligenz, Automatisierung und Robotik die Chance auf „Millionen neue Arbeitsplätze“ – vorausgesetzt, die Technologien werden richtig genutzt. In Ihrem gerade erschienen Buch „Mindshift“ beschäftigen Sie sich genau damit. Was hat Sie veranlasst, dieses Buch zu schreiben?

Ich stelle fest, dass sich im Zuge der Digitalisierung unsere Lebens- und Arbeitswelt grundlegend verändert. Wir erleben einen stärkeren Bruch als je zuvor. Die Menschen verstehen aber nicht, wie sehr wir durch unser Bildungssystem und die bisher erlebte Welt geprägt sind. Wir haben etwa Werte wie Fleiß vermittelt bekommen, bestimmte Werte, die wir künftig brauchen, aber nicht. „Critical Thinking“, wie es die Amerikaner nennen, also Dinge in Frage zu stellen, gehört zu Letzteren. Man könnte es auch Kreativität nennen. Gerade in Österreich und Deutschland war unsere Arbeitswelt bisher an Regelketten ausgerichtet. Es war normal, eher Best Practices zu kennen und Tools anzuwenden als in Frage zu stellen, warum ausgerechnet dieses Tool genommen wird.

Sie verbreiten in Ihrem Buch Optimismus hinsichtlich der digitalen Zukunft. Warum stimmt sie Sie zuversichtlich?

Für mich ist die Veränderung eine Riesenchance. Wenn man Studien betrachtet, die sich anschauen, was den Menschen glücklich macht, befindet sich etwa Autonomie an oberster Stelle. Es ist wichtig, eigene Entscheidungen treffen zu können. Digitalisierung bietet diese Möglichkeit. Wir haben die Chance, uns stärker entfalten zu können. Nicht nur Fleiß und Leistung sind wichtig, sondern das, was danach kommt. Das ist zum einen die individuelle Freiheit, aber auch Rücksichtnahme auf Umwelt und Aspekte, die das Zusammenleben beeinflussen. Wir sind nicht mehr so geknebelt und kommen weg von einem „Du musst“ zu einem „Du kannst“. Die Digitalisierung stellt uns vor die große Anforderung, so zu denken. Gleichzeitig ist es eine große Chance, das zu können.

„In Zukunft sind mehr Eigenständigkeit und Empathie gefragt. Das sind Aspekte, die Künstliche Intelligenz in der Form nicht abdecken kann.“Svenja Hofert

Wie können Technologie und Künstliche Intelligenz (KI) dazu beitragen und unsere berufliche Zukunft bereichern?

Mit Fleiß und Leistung ist das Effizienz-Paradigma verbunden. Wir sind in der bisherigen Arbeitswelt davon ausgegangen, dass wir uns optimieren müssen. Diesen Bereich der Routinetätigkeiten, die automatisiert laufen, kann Künstliche Intelligenz übernehmen. Für uns geht es jetzt um Anderes: um das Schaffen neuer Produkte und die Entwicklung von Ideen. Der wertschöpfende Charakter wird stärker, wir kommen weg vom Optimieren. Mehr Eigenständigkeit und Empathie sind gefragt. Das sind Aspekte, die Künstliche Intelligenz in der Form nicht abdecken kann.

In Ihrem Buch fassen Sie diese Empathie, aber auch Kreativität und Intuition als „humane Intelligenz“ zusammen. Womit können wir weiters in der Zusammenarbeit mit Künstlicher Intelligenz punkten?

Das kritische Denken gehört dazu. Wobei das kaum von Kreativität zu trennen ist. Dazu kommen Kooperation und das Miteinander. In den letzten Jahrzehnten herrschte eine starke Individualkultur. Mittlerweile gibt es kaum ein Unternehmen, das nicht daran arbeitet, das zu ändern.

Apropos Ändern. Statt eines „Updates“ brauchen wir einen „Shift“ in unserem Denken, Handeln und unseren Grundannahmen, schreiben Sie. Was bedeutet das für den Einzelnen in der digitalisierten Welt konkret?

Bisher ging es bei uns immer um Weiterentwicklung dessen, was vorhanden war. Wir haben uns upgedatet, haben uns von 1.0 auf 2.0 auf 4.0 verbessert. Das merke ich auch in meinen Vorträgen: Nennen Sie mir doch 40 Dinge, die ich richtig machen soll, heißt es da. Das zeigt für mich die ständige Suche nach einem Update. Wir gehen nicht disruptiv (= etwas Bestehendes auflösend oder zerstörend) an eine Sache. Doch wir brauchen diesen Cut. Wir müssen bildlich gesprochen das Werkzeug weglegen und schauen, wie es wäre, nicht die Zange zu nehmen, sondern darüber zu sprechen.

Sie beschreiben in Ihrem Buch 22 solcher „Shifts“, genauer gesagt „Mindshifts“, um für die berufliche Zukunft gerüstet zu sein. Mit ihnen wollen Sie die Spiel- und Experimentierfreude wecken. Können Sie uns mehr über diese „Mindshifts“ erzählen? Warum sollte ich diese Eigenschaften trainieren?

Es ist eine Art Seilspringen im Kopf. Man lernt, in unterschiedliche Richtungen – links, rechts, oben, unten – zu denken. Es geht um die Flexibilisierung des Gehirns. Weg von gewohnten Strukturen, hin zu Neuem. Das führt zuerst immer zu einer Verwirrung. Wenn ich aber statt nach rechts nach links gehe, entstehen auch neue Verbindungen im Gehirn. Viele sprechen von der 21-Tage-Regel. An der ist etwas Wahres dran: Wenn ich 21 Tage links statt rechts gehe, verändert sich etwas. Um diese Veränderung im Gehirn geht es, denn wir brauchen neue Strukturen. Dafür gibt es praktische Hilfsmittel, die mir erlauben, Dinge anders zu machen.

Mit Freude an der Arbeit: „Letztendlich findet dort die größte Entwicklung statt, wo die Grundemotion der Freude am Größten ist“, sagt Svenja Hofert.
© Faceland / Nikolai Brinkmann

Mit Freude an der Arbeit: „Letztendlich findet dort die größte Entwicklung statt, wo die Grundemotion der Freude am Größten ist“, sagt Svenja Hofert.

Sie verzichten bewusst darauf, Schritt-für-Schritt-Anweisungen zu geben oder Vorgaben zu machen, mit welchem Mindshift der Lesende beginnen soll. Die Entscheidungen überlassen Sie jedem Einzelnen. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Weil wir Menschen unterschiedlich sind. Der erste Schritt ist immer zu verstehen, dass ich etwas anders machen muss als bisher, wenn ich mich verändern möchte. Dann kommt die Frage nach dem Was? Das richtet sich danach, was in meinem Bereich wichtig ist. Für den einen geht es mehr um Empathie, für den anderen mehr um Kreativität oder kritisches Denken. Was hilft mir persönlich in meiner Umwelt, um zukunftsgerichteter mit den Veränderungen in meinem Beruf umgehen zu können? Letztendlich findet dort die größte Entwicklung statt, wo die Grundemotion der Freude am Größten ist. In dem Moment, in dem aber die Angst zu groß ist, würde keine Veränderung stattfinden. Wo wir aber Freude und Neugier empfinden, das ist für jeden ein anderer Bereich.

 „Wahrnehmen, was Sie wirklich steuert“ oder „Das Bauchgefühl auf den neuesten Stand bringen“, lauten zwei dieser neuen Denkmuster. Kann man das Bauchgefühl überhaupt traininieren und wenn ja, wie?

Das ist total trainierbar! Zuerst muss man schauen, ob das Bauchgefühl eine Selbstbestätigung oder eine Erfahrung ist. Zollbedienstete zum Beispiel wissen intuitiv, wenn es sich um einen Schmuggler handelt – da geht es um die Bewegungen, um Mimik, um Blickkontakt. Sie haben diese Kenntnisse nicht aus Sachinformationen bezogen, sondern aus starker Beobachtung, aus Erfahrung. Das ist die wirkliche Intuition, das Bauchgefühl. Dass ich hingegen in den 80er-Jahren Psychologie studiert habe und diese Information bis heute in mir trage, ist nur veraltetes Wissen, kein Bauchgefühl. Der schwedische Forscher Ola Rosling hat untersucht, dass wir ganz viel nach Fakten beurteilen, die keine Fakten mehr sind, sondern veraltetes Wissen. Das führt zu einem falschen Bauchgefühl, das nur Selbstbestätigung ist. Echte Intuition ist umso besser, je vielfältiger unsere Erfahrung ist, je mehr wir gesehen und erlebt haben. Dafür reicht es schon, in der Buchhandlung einmal in eine andere Abteilung zu gehen und nach dem Zufallsprinzip ein Buch herauszunehmen, das man normalerweise nicht gewählt hätte. Dann nehme ich mir vor, es vorurteilsfrei zu lesen. Dasselbe gilt auch für Aktivitäten. „Ich würde niemals...“, diesen Satz höre ich oft. Es handelt sich um selbstbeschränkende Glaubenssätze, die meine Erfahrungen und somit mein Bauchgefühl nicht bereichern.

Für jeden Mindshift geben Sie drei Übungs-Varianten an die Hand: Beim Mindshift „Perspektivenwürfler“ laden Sie die Lesenden ein, sich in die Rolle eines anderen zu versetzen. Dann gibt es Übungen für die nächsten sechs Wochen – etwa das Kreieren einer Landkarte mit der familiären und einer beruflichen Miniwelt, die man aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Und dazu gibt es noch eine Übung im Team. Sollen die Lesenden alle Varianten ausprobieren – oder welche Intention steckt dahinter, diese drei Optionen zu geben?

Den Teamaspekt habe ich gewählt, weil sich die Ratgeber der Vergangenheit meist auf die   Einzelsicht ausrichten. Ich bin aber der tiefen Überzeugung, dass die beste Weiterentwicklung mit anderen stattfindet. Auch Ansätze wie die von „Working out loud“ gehen in diese Richtung. Allein schmoren wir in unserem Saft, ohne uns zu entwickeln. Wenn wir mit anderen – egal, ob Kollegen oder Freunden – arbeiten, besteht mehr Potenzial. In der Gruppe gibt es mehr Ideen, blinde Flecken werden eher aufgedeckt.

Die kurzen Übungen beruhen darauf, dass wir schnelle Erfolge benötigen, um motiviert zu werden. Im Gehirn verändert sich vielleicht nicht Grundlegendes, aber die Wahrscheinlichkeit der Wiederholung steigt, wenn etwas geklappt hat. Die sechs Wochen sind wiederum der nächste Schritt: Wenn man sich sechs Wochen damit beschäftigt, ist eine grundlegende Verhaltensänderung noch wahrscheinlicher. Es entstehen auch kleine, neue Verbindungen im Kopf, die etwas bewirken.

Raus aus dem Autopiloten:
„Nichts ist wirksamer als Meditation.“Svenja Hofert

Nach jeder 5-Minuten-Übung empfehlen Sie zu meditieren. Wieso? 

Das hilft, das Gelernte im Kopf zu verankern. Nichts ist wirksamer als Meditation. Wir Menschen müssen in Balance sein, wir brauchen beide Seiten: Aktivität und Ruhe. Kreativität entsteht nicht, wenn man sechs Wochen durchpowert und 16 Stunden arbeitet. Ideal ist die Verknüpfung von Ruhe- und Aktivitätsphasen. Das spricht übrigens auch für die Flexibilisierung der Arbeit. So kommt man aus dem Autopiloten heraus, lernt bei sich zu sein und die Ruhephase zu nutzen. Darin verankern sich die Dinge besser, wodurch ich letztendlich mit höherer Wahrscheinlichkeit kreativer werde.

Wie lange dauert es generell, einen „Mindshift“ wirklich zu vollziehen?

Es gibt verschiedene Abschnitte und Etappen. Nach vier Tagen hat man vielleicht ein erstes Erfolgserlebnis. Erste kleine Veränderungen werden sichtbar. Wann der nächste Abschnitt einsetzt, darüber wird diskutiert. Manche gehen von 21 Tagen, manche von sechs Wochen aus. Ich habe mich für die sechs Wochen entschieden, bin aber kein Hirnforscher. Übt man ein Verhalten über diese sechs Wochen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man es beibehält. Wenn man sechs Monate dran bleibt, vielleicht auch Rückschläge einsteckt – die gehören dazu –, dann findet eine noch stärkere Veränderung statt. Ein starker Shift in der Persönlichkeit dauert etwa zwei bis drei Jahre, wenn man es wirklich will. Man muss wirklich dranbleiben.

Wenn Sie nur einen Mindshift aus dem Buch herauspicken müssten, mit der wir uns schon heute besser auf die digitale Zukunft vorbereiten können, welche wäre das?

Der „Querdenker“ steht nicht ohne Grund am Anfang, er hilft immer. Dass man sich immer die Frage stellt: Was habe ich noch nicht gedacht? Was habe ich noch nicht gesehen? Wohin bin ich noch nicht gegangen? Man kann das auf alle möglichen Bereiche übertragen. Mit dieser Frage nach dem „noch nicht“ öffnet man meiner Erfahrung nach sehr, sehr viel.

Eine letzte Frage: An welchem Mindshift arbeiten Sie für sich gerade?

Ich arbeite selbst an meiner Meditationsfähigkeit. Ich arbeite daran, mehr in die Ruhephasen zu kommen, weil ich merke, dass ich mehr Ideen habe. Die kommen nämlich nicht geplant um 9 Uhr morgens.

Zur Person

Svenja Hofert arbeitet als Management- und Karrierecoach. In den vergangenen 20 Jahren hat sie 35 Bücher zum Thema geschrieben, unter anderem „Agiler Führen“ und „Karriere mit System“. Die gebürtige Kölnerin ist gemeinsam mit Thorsten Visbal geschäftsführende Gesellschafterin des Weiterbildungsinstituts Teamworks GTQ GmbH. svenja-hofert.de