„Eine aktive, kollektive Lösungsbegabung rüstet für die Zukunft“

MEIN LEBEN sprach mit Univ. Prof. Dr. Markus Hengstschläger, einem führenden Genetiker Österreichs, der mit „Die Lösungsbegabung“ seinen nächsten Bestseller veröffentlichte.

Sehr geehrter Herr Hengstschläger, was meinen Sie eigentlich mit Lösungsbegabung?

Lösungsbegabung ist das Potenzial, das jeder Mensch – natürlich individuell unterschiedlich – hat, um neue, kreative und innovative Lösungen zu entwickeln.

Warum ist Lösungsbegabung eigentlich wichtig?

In unserer so schnelllebigen Zeit hat jede und jeder von uns täglich immer mehr vorhersehbare aber auch immer mehr unvorhersehbare Probleme und Fragestellungen zu lösen. Ob im Großen oder im Kleinen, ob im Privat- oder im Berufsleben: Der Bedarf an innovativen Lösungen ist hoch.

Und bei so großen Themen, wie zum Beispiel Klimawandel, Rassismus, Terrorismus, Populismus, Flüchtlingskrise oder der Covid-19 Pandemie, geht es darum, die Menschen vor der Mitmachkrise zu bewahren und sie zu motivieren, an kollektiven Lösungsprozessen mitzuwirken. Weil jeder Beitrag zählt.

Ist die Lösungsbegabung verwandt mit dem „Hausverstand“?

Nein, denn der Hausverstand beschreibt keine Begabung. Die Fähigkeit etwas zu verstehen ist zwar eine gute Voraussetzung, führt aber alleine noch nicht zu einer neuen und kreativen Lösung.

 

Die Lösungsbegabung (erschienen im Ecowin Verlag), der nächste Bestseller von Markus Hengstschläger

Die Lösungsbegabung (erschienen im Ecowin Verlag), der nächste Bestseller von Markus Hengstschläger

Sie schreiben auch von einem „genetisch mitbestimmten Potenzial der Lösungsbegabung“. Ist diese Begabung also nicht gleichermaßen „entfaltbar“ bei unterschiedlichen Menschen?

Eine Begabung ist ein genetisch mitbestimmtes und auch frühkindlich geprägtes Potential, das aber erst durch Lernen und Üben in eine Leistung umgesetzt werden kann. Der Mensch ist dabei also nicht auf seine Gene reduzierbar. Es geht dabei um das Wechselspiel zwischen Genetik, Umwelt und Epigenetik. Der Mensch hat dabei viel selbst in der Hand. Das ist Chance und Verantwortung zugleich.

Auf dem Titelbild knacken Sie die „Nuss Lösungsbegabung“. Warum ist es so eine harte Nuss, die es da zu knacken gilt?

Sie müssen auf die Rückseite schauen. Da ist die Nuss geknackt.

Ihr Buch, "Die Lösungsbegabung" (erschienen im Verlag Ecowin), schaffte es auf Platz 1 der Bestseller des Hauptverbands des österreichischen Buchhandels. Freut man sich dann besonders wenn es Platz 1 ist, vergleichbar mit Sportlern die in der Tabelle oben stehen. Oder sind Buchautoren hier weniger kompetitiv?

Auch wenn es nicht mein erster Platz 1 Bestseller ist, freue ich mich natürlich darüber. Es freut mich vielleicht sogar besonders, weil mein letztes entsprechendes Buch („Die Durchschnittsfalle“) schon eine längere Zeit, genauer gesagt 8 Jahre, her ist.

Sie schreiben, „die Fähigkeit, Probleme zu lösen, ist wichtiger denn je“. Würden Sie dem zustimmen, dass wir heutzutage auch so viel Werkzeug (Internet, Smartphones, ständig abrufbares „Wissen“…) wie nie hatten, um Probleme zu lösen? Oder hindern uns Wikipedia & Co eher an der Lösungsfindung, weil sie uns bequem machen?

Das sind alles äußerst wichtige Hilfsmittel. Daran besteht kein Zweifel. Aber wir leben vielleicht aktuell gar nicht in einer Wissensgesellschaft, sondern eher in einer Datengesellschaft. Erst wenn man Daten in einen Kontext setzt und interpretiert, entstehen daraus Informationen. Und Wissen entsteht erst, wenn verschiedene Informationen durch Denken zu einem Bild zusammengefügt und auch mit Erfahrungen vernetzt werden. Andere Autoren sprechen auch davon, dass wir in Informationen ertrinken, aber gleichzeitig an Wissenshunger zugrunde gehen. Oder, dass wir vielleicht Informationsgiganten werden, aber zu Wissenszwergen verkommen. Um Lösungsbegabung zu entfalten, braucht es Wissen und vieles mehr.

Wir wollen nicht zu viel vorwegnehmen aus Ihrem Buch, aber können Sie in Grundskizzen Strategien zur Entfaltung der Lösungsbegabung beschreiben?

Es geht im Buch darum, was man unter Lösungsbegabung verstehen kann, wie man sie von klein auf fördern kann und was wir alle tun können, um unsere Lösungsbegabung laufend aktiv zu halten. Oder sie zum Beispiel auch bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durch entsprechendes Leadership zu fördern.

In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, Kindern den Lösungsfindungsprozess nicht ständig abzunehmen. Wann immer möglich, sollte Kindern die Chance gegeben werden, selbst eine gute Idee zu entwickeln. Das trägt auch zur Persönlichkeitsentfaltung bei: Was gibt es cooleres, als eine Lösung selbst zu finden? Das Gefühl das zu können, prägt Menschen für ihr Leben und motiviert auch später bei kollektiven Lösungsprozessen mitzumachen.

In meinem Buch beschreibe ich auch viele verschiedene Strategien, wie man Lösungsbegabung ein Leben lang aktiv halten kann. Es ist dafür notwendig, sich ein wenig mit den biologischen Grundlagen des Menschen zu beschäftigen. Und schließlich geht es auch darum, das richtige Ausmaß an Mut zu entwickeln und das Zusammenspiel zwischen gerichteter und ungerichteter Ausbildung, Schnittstellen zwischen Menschen verschiedener Disziplinen oder die Voraussetzung für kreative Prozesse und Serendipität zu fördern.

Hätte uns ein Mehr an Lösungsbegabung besser durch die aktuelle Corona-Krise geführt?

Blauäugige Optimisten argumentieren oft, dass es sich schon ausgehen wird, weil es die anderen schon machen werden. Eingefleischte Pessimisten bringen sich auch nicht ein, weil sie meinen, es bringt ohnedies nichts. Es geht in der Pandemie jetzt darum, dieser Mitmachkrise zu trotzen. Possibilisten sagen: „Es ist jetzt gerade nicht einfach. Aber wenn ich meinen Beitrag leiste, schaffen wir das.“ Weil eben jeder Beitrag zählt.

Wir leben in Zeiten wo Inhalte über Social Media immer verkürzt werden. Wie würden Sie den Inhalt ihres Buches in einen Tweet (280 Zeichen) zusammenfassen?

Eine aktive, kollektive Lösungsbegabung rüstet für die Zukunft – das sind jetzt sogar weniger Zeichen.

Vielen Dank für das spannende Interview!

 

Univ. Prof. Dr. Markus Hengstschläger studierte Genetik, forschte auch an der Yale University in den USA und ist heute Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien. Der vielfach ausgezeichnete Wissenschaftler unterrichtet Studierende, betreibt genetische Diagnostik, ist Berater und Bestsellerautor. Er leitet den Think Tank Academia Superior, ist stellvertretender Vorsitzender der österreichischen Bioethikkommission, war 10 Jahre lang Mitglied des Rats für Forschung und Technologieentwicklung und ist Universitätsrat der Linzer Johannes-Kepler-Universität. Seiner Erkenntnisse zu Biologie, Talent, Bildung und Forschung haben bereits viele Leserinnen und Leser und Zuhörerinnen und Zuhörer in den Bann gezogen.

 

anna_mayerhofer_markus_hengstschlaeger https://de.wikipedia.org/wiki/Markus_Hengstschl%C3%A4ger#/media/Datei:Bi...(2).jpg