Arbeitsplatz for Future

Die Zeit der Effizienzsteigerung und Boni ist vorerst vorbei. Die Arbeitswelt von morgen bringt Fortschritt und Verantwortung in Einklang und vollendet die Digitalisierungsidee.

Wer bei Google die Begriffe „Digitalisierung“ und „Freiheit“ eingibt, erhält rund 3,5 Millionen Einträge. Unternehmen, die in den vergangenen Jahren den technologischen Fortschritt vorangetrieben haben, taten dies auch mit Blick auf die Schöpfung neuer Potenziale: mehr Raum für Innovation, mehr Kreativität, mehr Freiheit. Denn da, wo Algorithmen Prozesse steuern, können sich Menschen vermehrt um sinnstiftende Aufgaben kümmern. Nun gehen erste Unternehmer noch weiter und stellen das Unternehmen in seiner ursprünglichen Form infrage. 

Philip Siefer ist einer von ihnen. Für den Gründer des Berliner Kondom-Start-ups Einhorn ist es „seltsam“, Menschen für ihre Arbeit zu bezahlen. Sein Geschäftspartner Waldemar Zeiler findet Chefsein „zum Kotzen“. „Unfuck the Economy“ ist deshalb das Motto, mit dem die beiden Unternehmer die Arbeitswelt umkrempeln wollen. Vor rund einem Jahr beschlossen sie, dass ihr Unternehmen nicht mehr ihnen, sondern sich selbst und allen, die daran mitwirken, gehören soll. 

Kein Bock mehr auf Chefsein: Waldemar Zeiler und Philip Siefer von Einhorn
© einhorn.my

Kein Bock mehr auf Chefsein: Waldemar Zeiler und Philip Siefer von Einhorn

Jeder weiß, was der andere verdient

Schlüssel zu diesem Modell ist die Stiftung Purpose, die die Idee des Familienunternehmens modernisiert. Dabei wird die Unternehmensverantwortung nicht automatisch an die Familie gebunden, sondern an eine Werteverwandtschaft. „Es gibt dann keine automatische Vererbung der Firma mehr und das Unternehmen kann auch nicht als Spekulationsobjekt verkauft werden“, sagt Armin Steuernagel, einer der vier Gründer der Stiftung. Das Purpose-Modell sieht vor, dass die Mitarbeiter 99 Prozent der Unternehmensanteile übernehmen, während die Stiftung ein symbolisches Prozent behält. Das wird in einer Satzung festgeschrieben, „damit der Eigentümer nicht sagen kann: Ich habe schlecht geschlafen, ich verändere das jetzt wieder“, erklärt Steuernagel.
Änderungen können nur noch einstimmig erfolgen – der Veto-Anteil der Purpose-Stiftung verhindert dann, dass aus Verantwortungseigentum wieder Privateigentum wird.

Seit einem Jahr leben die Mitarbeiter bei Einhorn mit dem Purpose-Modell, organisieren ihre Arbeit selbst und bestimmen sogar ihr Gehalt. Jeder weiß, was der andere verdient. Ein Gehalts-rat stellt sicher, dass die Gründer höchstens dreimal so viel bekommen wie der mit dem niedrigsten Gehalt. 

Arbeit mit Verstand und Sinn

Die Zeit der Boni ist vorbei. Möglicherweise eine der radikalsten Erkenntnisse der Idee. Ging es in den Anfängen der Digitalisierung vor allem um Prozessoptimierung und Effizienz, stellen sich auf einmal immer mehr Unternehmer die Frage nach dem Sinn und Zweck (engl. „Purpose“) und dem Preis, den unsere Gesellschaft und Gesundheit für die Digitalisierung zahlen muss. Neben Einhorn haben auch Ecosia und Soulbottles ihr Geschäftsmodell sinnstiftend umgestaltet. Soulbottles produziert wiederauffüllbare Wasserflaschen, Ecosia ist eine Suchmaschine, die mit Werbeeinnahmen aus Suchanfragen Bäume pflanzt. 

In Zeiten von Greta Thunberg und Fridays for Future ist es für Mitarbeiter zunehmend von Bedeutung, ihre Arbeit nicht allein dem Profit unterzuordnen, sondern mit mehr Verantwortung und Nachhaltigkeit zu verknüpfen. 

Mehr Menschlichkeit durch KI

Mehr Verantwortung in der Arbeitswelt heißt aber nicht, die Digitalisierung zurückzufahren. Im Gegenteil. Der Computer-Hersteller Dell stellt in seiner Studie „Realizing 2030 – Die Zukunft der Arbeit“ dar, wie neue Partnerschaften zwischen Mensch und Maschine entstehen und es uns ermöglichen, den Arbeitsplatz von jahrhundertealten Ineffizienzen und Ungerechtigkeiten zu befreien. 
Künstliche Intelligenz wird ein wichtiges Recruiting-Instrument, das menschliche Vorurteile reduziert und die Bildung optimaler Teams am Arbeitsplatz steuert. Sogenannte XR-Techno-logien (Extended Reality) bauen wichtige Brücken zwischen Algorithmen und Arbeitsplatz. Etwa durch den Einsatz von Augmented Reality, die GPS- oder Infrarotdaten über das reguläre Sichtfeld legt, oder durch Vernetzung von Teams in Echtzeit mit Verfahren, die bereits in Gaming-, Coding- und verteilten Communitys bekannt sind. 

In der Arbeitswelt von morgen verbinden sich Digitalisierung und sinnstiftender Umgang mit Technologie und Unternehmen. Je früher Arbeitgeber das verstehen, desto eher sichern sie sich Vorteile im Wettbewerb um die richtigen Mitarbeiter.