Sport als Medizin:
Warum Bewegung auch bei Krebs so wichtig ist

Sport hat einen positiven Einfluss auf unsere Gesundheit und kann sogar bei einer Krebstherapie helfen. Ein Gespräch mit Dr. Jürgen Scharhag, Professor für Sportmedizin und Leistungsphysiologie am Institut für Sportwissenschaft der Universität Wien.

Sport hilft beim Stoffwechsel und kann präventiv gegen Krebserkrankungen wirken.

Sport hilft beim Stoffwechsel und kann präventiv gegen Krebserkrankungen wirken.

Dass Sport die Gesundheit fördert, ist allgemein bekannt. Doch in letzter Zeit hört man immer öfter, dass Sport auch bei Krebserkrankungen positiv Wirkungen entfaltet. Stimmt das, und wenn, wie funktioniert das genau?

Sport hat nachweislich positive präventive Effekte auf Krebserkrankungen, insbesondere auf Brustkrebs nach den Wechseljahren sowie Dickdarmkrebs, als auch den Verlauf einer Krebstherapie. Das konnte in epidemiologischen Studien nachgewiesen werden. Außerdem kann körperliche Aktivität bzw. die medizinische Trainingstherapie bei Patienten dazu beitragen, die Nebenwirkungen einer Chemotherapie oder Bestrahlung zu reduzieren. Diese werden dann besser vertragen und die Patienten fühlen sich insgesamt wohler. Und nach der Therapie können die Patienten oft schneller ihre ursprüngliche Leistungsfähigkeit zurückgewinnen.

Hat das auch Auswirkungen auf die Heilungschancen?

Sport, oder besser: richtig dosiertes körperliches Training, scheint auch die Überlebensrate bei Krebspatienten positiv zu beeinflussen. Jedoch benötigen wir zur Beantwortung dieser Frage systematische Trainingsstudien, um für die unterschiedlichen Krebsarten und Krebstherapien die richtige Dosis des Medikaments „Sport“ exakt herauszufinden.

Lindert Beschwerden: Auch während einer Chemotherapie ist körperliche Aktivität ratsam.

Lindert Beschwerden: Auch während einer Chemotherapie ist körperliche Aktivität ratsam.

Wieviel Bewegung braucht es für diesen positiven Einfluss?

Sinnvoll ist eine regelmäßige körperliche Aktivität bzw. Gesundheitssport. Allgemein empfehlenswert sind etwa dreimal pro Woche ausdauerorientierte Aktivitäten wie Spazierengehen, Walking oder Nordic Walking, Radfahren, Schwimmen oder Jogging (passende Motivationstipps liest du hier). Aber auch ausdauerbetonte Spielsportarten können betrieben werden. Zusätzlich sind zweimal pro Woche Kräftigungsübungen beziehungsweise -training empfehlenswert. Es muss aber kein Leistungssport sein und sollte vor allem Spaß machen. Regelmäßige körperliche Aktivität und Sport haben unter anderem auch positive Effekte auf den Fettstoffwechsel, was möglicherweise bei der Prävention der Brustkrebsentstehung nach den Wechseljahren bedeutsam ist. 

Man kann also auch vorbeugend etwas gegen den Krebs tun?

Auf jeden Fall, körperliche Aktivität wirkt präventiv und rehabilitativ! Das heißt sie funktioniert als Vorbeugung und kann die Wahrscheinlichkeit einer Krebserkrankung reduzieren. Aber auch während oder nach einer Krebserkrankung kann körperliche Aktivität die Nebenwirkungen der Therapie reduzieren und eventuell auch den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen.

Sport gehört also in Ihren Augen zu jeder Krebstherapie?

Wichtig zu unterscheiden ist zunächst, dass es sich hierbei eher um körperliche Aktivität als um Wettkampf-Sport handelt. Ziel einer Sporttherapie – oder besser einer medizinischen Trainingstherapie – ist es, die körperliche Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit im Rahmen der Möglichkeiten einer Erkrankung zu verbessern und darüber hinaus auch Angst-, Ermüdungs- oder depressive Zustände zu verringern oder zu verhindern. Und dies ohne, dass die Trainingstherapie dem Patienten schadet, weil sie falsch oder zu intensiv betrieben wird. Wie bei einem Medikament muss die medizinische Therapie individuell verordnet werden und sich nach der Belastbarkeit und den Notwendigkeiten jedes einzelnen Patienten richten.

„Zehn Minuten pro Tag können die Lebenserwartung schon erhöhen.“Prof. Dr. Jürgen Scharhag

Aber wie mit dem Sport anfangen, wenn ich ein Sportmuffel bin?

Der größte Fehler ist, sich zu viel vorzunehmen. Da wollen Unsportliche von heute auf morgen eine Sportskanone werden. Aber es geht nicht darum, sich auf den nächsten Marathon vorzubereiten, sondern einfach nur darum, ein bisschen mehr körperliche Aktivität in seinen Alltag einzubauen. In einer präventivmedizinischen epidemiologischen Studie an über 400.000 Menschen in Taiwan konnte gezeigt werden, dass zehn Minuten körperliche Aktivität pro Tag bereits die Lebenserwartung erhöhen können.

Wird die positive Wirkung von Sport eigentlich aufgehoben, wenn er mir gar keinen Spaß macht?

Nein! Denn Ihrem Körper ist es egal, ob Ihnen die Bewegung Spaß macht oder nicht. Die Effekte, zum Beispiel auf das Herz-Kreislauf-System oder das Immunsystem, treten dennoch ein. Aber generell sollte Sport natürlich Spaß machen – ohne den geht es nicht, wenn Sie regelmäßig körperlich aktiv sein wollen. Den Spaß an der Sache brauchen Sie, um an Ihrem Fitnessprogramm dranzubleiben.

Wie sieht das genau aus, wenn ein Krebspatient zu Ihnen kommt und sagt, dass er noch nie Sport gemacht hat, aber damit anfangen will?

Wenn Patienten aus dem Krankenhaus in unsere Sprechstunde kommen, wird als erstes von einem Sportmediziner geprüft, wie der allgemeine Gesundheits- und Fitnesszustand ist und welche Belastungen sie vertragen. Dann wird gemeinsam mit Sportwissenschaftlern und Trainingstherapeuten ein Programm ausgearbeitet, das im Verlauf überprüft und angepasst wird. Hierbei geht es nicht darum, zum Leistungssportler zu werden, sondern zunächst während oder nach der Behandlung gut durch den Alltag zu kommen. Das Sportprogramm wird also individuell an jeden Patienten und seine Situation angepasst. Wenn ich eine Brustamputation oder eine Bauch-OP hinter mir habe, dann muss ich natürlich anders Sport betreiben. Und ganz gleich, ob es sich um ein Ausdauertraining oder, je nach Phase, ein gezieltes Aufbautraining handelt: Es geht immer um ein gesundes Maß an körperlicher Aktivität und Sport. Denn ein zu intensives Training kann auch schaden, zum Beispiel kann es das Immunsystem schwächen.

Lieber regelmäßig als zu viel auf einmal: Bereits zehn Minuten am Tag können die Lebenserwartung erhöhen, so das Ergebnis einer Studie aus Taiwan.

Lieber regelmäßig als zu viel auf einmal: Bereits zehn Minuten am Tag können die Lebenserwartung erhöhen, so das Ergebnis einer Studie aus Taiwan.

Haben Sie als Sportarzt noch ein paar Motivationstipps für uns?

Nehmen Sie sich nicht zu viel vor, trainieren Sie regelmäßig. Auch kleine Trainingseinheiten von zehn Minuten bringen positive Effekte. Und es muss nicht immer Sport sein. Auch ein strammer Spaziergang zählt! Wer sich vornimmt, täglich ein bisschen zu tun, kommt nicht in Versuchung, den Sporttermin ständig zu verschieben. Auch ist die Hürde nicht so groß, wenn die Sporteinheiten öfter, dafür aber kürzer sind.

Und: Es sollte Spaß machen! Jeder darf die für ihn geeignete Aktivität für sich finden. Es gibt neben Joggen, Fahrradfahren oder Schwimmen noch andere Möglichkeiten sich zu bewegen. Der eine spielt gerne Fußball, der nächste liebt lange Spaziergänge – auch das tut gut und kann helfen, fit zu bleiben. Körperliche Aktivität und Sport erhöhen die Lebenserwartung bei gesunden und erkrankten Menschen. Aber auch die Lebensqualität steigt durch eine verbesserte körperliche Leistungsfähigkeit und Zunahme der körperlichen Belastbarkeit.

ZUR PERSON

Seit 2019 leitet Prof. Dr. Jürgen Scharhag an der Universität Wien die Abteilung Sportmedizin, Leistungsphysiologie und Prävention an der Universität Wien sowie die angebundene Ambulanz des Österreichischen Instituts für Sportmedizin (ÖISM).