„Meditation erhöht unsere Abwehrzellen um bis zu 70 Prozent“

Jeder kann aktiv etwas tun, um die körperliche und mentale Widerstandskraft zu erhöhen, sagt Professor Wolfgang Lalouschek. Im Interview mit MEIN LEBEN beschreibt der Neurologe und Coach sechs Bereiche, die eine positive Wirkung auf unser Immunsystem haben.

 

Das Wichtigste in Tweets:

  • Jeder kann aktiv etwas tun, um seine Immunabwehr auch gegen eine Infektion durch das Coronavirus zu stärken.
  • Bewegung, Ernährung, Schlaf, Psyche, Stress und soziale Beziehungen haben direkten Einfluss auf unsere Widerstandskraft.
  • Multitasking ist ein Feind unseres Glückskreislaufs. Besser die Menge der Aufgaben richtig einschätzen und Not-to-do-Listen führen.
  • Meditation und Entspannungsübungen wie Chi Gong, Tai Chi oder Yoga erhöhen die Abwehrzellen im Blut um bis zu 70 Prozent.

Interview

Herr Professor Lalouschek, die Corona-Pandemie beschäftigt Menschen auf der ganzen Welt. Was kann jeder von uns tun, um sich zu schützen?

Zunächst einmal ist es wichtig, sich an die allgemeinen Vorgaben zum Infektionsschutz zu halten, also Abstand wahren, Masken tragen, Sozialkontakte beschränken und Hände waschen. Darüber hinaus gibt es aber eine Reihe von Maßnahmen, die nachweislich mit einer Stärkung des Immunsystems sowie der körperlichen und auch mentalen Widerstandskraft einhergehen. Wir sprechen auch von Resilienz.

Welche Maßnahmen sind das?

Moderates Ausdauertraining senkt den Pegel schädlicher Entzündungsstoffe im Blut und erhöht die Menge der Abwehrzellen, etwa der Lymphozyten, die für die Virusabwehr besonders wichtig sind. Zudem führt moderates Ausdauertraining innerhalb weniger Wochen zu einer verbesserten Herz- und Lungenfunktion und erhöht die Transportkapazität unseres Blutes für Sauerstoff. All das sind Faktoren, die im Einzelfall über einen leichteren oder einen schwereren Verlauf einer Corona-Infektion entscheiden können.

Moderates Ausdauertraining: Nur 80 Prozent der eigenen Leistungsfähigkeit

Moderates Ausdauertraining: Nur 80 Prozent der eigenen Leistungsfähigkeit

Was bedeutet moderat?

Moderat meint ein körperliches Training im Bereich von 80 Prozent der eigenen Leistungsfähigkeit. Bei der Mehrzahl der Menschen ist das der Pulsbereich von 120 bis 130 Schlägen pro Minute. Das Training sollte eine halbe bis dreiviertel Stunde dauern und idealerweise alle zwei Tage erfolgen. Kurze Pausen von ein bis zwei Minuten, in denen sich der Puls wieder beruhigen kann, fördern die Entspannungsfähigkeit und damit auch die Widerstandskraft unseres Körpers zusätzlich. Krafttraining allein ist dagegen nicht mit einer erhöhten Immunabwehr verknüpft. Intensives Training kann das Immunsystem sogar schwächen, weshalb Sportler in der Trainingsphase häufig ein erhöhtes Infektionsrisiko haben. 

Welche weiteren Maßnahmen stärken die Widerstandskraft?

Wir wissen, dass eine Ernährung, die reich ist an mehrfach ungesättigten Fettsäuren (zum Beispiel in Lachs, Leinöl und Chia-Samen, Anm. der Red.), die einen geringen Anteil an rasch verwertbaren Kohlenhydraten wie Zucker oder Weizenmehl hat und die auch vielseitige Gemüse enthält, unsere Immunabwehr um bis zu 50 Prozent verbessern kann. Einen positiven Zusatzeffekt erreiche ich auch durch intermittierendes Fasten, weil der Körper in Hungerperioden nachweislich von bestimmten Abbauprodukten und alten Zellbestandteilen gereinigt wird. Eine sehr populäre Methode ist das sogenannte 16:8-Fasten, bei der ich entweder das Frühstück oder das Abendessen auslasse und damit eine 16-stündige Fastenperiode erreiche, die ich aber zum Teil auch verschlafe.

Verbessert Immunabwehr: Ernährung mit Gemüse und mehrfach ungesättigten Fettsäuren

Verbessert Immunabwehr: Ernährung mit Gemüse und mehrfach ungesättigten Fettsäuren

Macht es einen Unterschied, ob ich das Abendessen oder das Frühstück auslasse?

Grundsätzlich spricht einiges dafür, dass das Auslassen des Abendessens besser ist, sofern der Schlaf dadurch nicht beeinträchtigt wird. In der Nacht finden viele Regenerationsvorgänge statt. Ein niedriger Blutzuckerspiegel entlastet den Insulinspiegel und fördert die Ausschüttung von Wachstumshormonen, die unter anderem die Abwehrzellen im Blut stimulieren.

Schlaf kommt also auch eine wichtige Bedeutung zu.

Richtig. Schlafmangel kann schädliche Entzündungsvorgänge begünstigen und damit zu einer Schwächung des Immunsystems und zu einer verminderten Antikörperreaktion bei Impfungen führen. Wir wissen mittlerweile, dass unsere weißen Blutkörperchen, insbesondere die Lymphozyten, erst in der Tiefschlafphase ausreifen. Wer also unter Schlafstörungen leidet oder glaubt, mit weniger Schlaf auszukommen, um mehr leisten zu können, verschlechtert die Funktionen der Immunabwehr. Der durchschnittliche Schlafbedarf liegt bei sieben bis acht Stunden.

Schlafmangel schwächt das Immunsystem.

Schlafmangel schwächt das Immunsystem.

Was kann ich tun, um einen guten Schlaf zu unterstützen?

Zum einen sollte ich auf schweres Essen am Abend, zum anderen auf Alkohol verzichten. Das Glas Wein lässt uns zwar leichter Einschlafen, stört aber die Tiefschlafphasen, in der unsere wichtigsten Abwehrzellen produziert werden.

Manchmal sind es aber auch Gedanken und Sorgen, die uns schlecht schlafen lassen.

Ja, deshalb ist unsere Psyche ein weiterer wichtiger Faktor für unsere Widerstandskraft. Gefühle wie Angst, Hilflosigkeit und Ärger steigern nachweislich die Infektanfälligkeit, während Aktivität, Erfolgserlebnisse und Freude den Spiegel von Abwehrzellen im Blut deutlich steigern. Wir müssen uns also mit der Frage beschäftigen, wie wir Erfolgserlebnisse sammeln können. Gerade in Zeiten, in denen wir viel zu Hause sind, hilft es, einen Tagesplan zu erstellen, sodass ich am Abend weiß, wofür ich meine Energie verwendet habe. Schädlich ist dagegen das sogenannte Multitasking. Denn wenn ich mehrere Dinge gleichzeitig mache, befinde ich mich in einem andauernden Zustand erhöhter emotionaler Belastung: Alles scheint wichtig und dringend, aber nichts wird fertig. Deshalb habe ich subjektiv und dann auch real weniger Erfolgserlebnisse. Die Folge ist ein Mangel des Glückshormons Dopamin im Verhältnis zu der Energie, die ich eingesetzt habe – ich fühle mich abends matt und müde.

Geht auch in den eigenen vier Wänden: Achtsamkeitsmeditation

Geht auch in den eigenen vier Wänden: Achtsamkeitsmeditation

Haben Sie einen konkreten Tipp, wie ich den Anforderungen des Alltags besser begegne?

Jeder sollte die Quantität seiner Aufgaben realistisch betrachten. Auch das beste Zeitmanagement oder die beste Organisation kann das Problem nicht lösen, wenn ich einfach zu viele Aufgaben habe. Es kann zum Beispiel hilfreich sein, neben einer To-do-Liste auch eine Not-to-do-Liste für Aufgaben zu führen, die heute nicht so wichtig sind. Allein das Vergegenwärtigen dieser Nicht-Aufgaben setzt Ressourcen frei und entlastet das Unterbewusstsein. Es kommt auch darauf an, Strategien zu entwickeln, die helfen, mit Stress besser umzugehen. Wir wissen, dass Personen, die beispielsweise regelmäßig Chi Gong, Tai Chi oder Yoga machen, einen teilweise bis zu 70 Prozent höheren Spiegel von Abwehrzellen und anderen Antikörpersubstanzen im Blut haben. Sehr empfehlenswert für die tägliche Anwendung ist auch die sogenannte Achtsamkeitsmeditation, die man in Kursen oder mit App-Unterstützung in wenigen Wochen erlernen kann. 

Auch gute soziale Beziehungen sind wichtig für das Immunsystem.

Auch gute soziale Beziehungen sind wichtig für das Immunsystem.

  Welche Rolle spielen Beziehungen für unser Immunsystem?

Unsere soziale Gesundheit spielt gerade in Corona-Zeiten eine bedeutende Rolle. Gefühle der Einsamkeit und Isolation gehen mit einem starken chronischen Stress einher und belasten unser Immunsystem massiv. Umgekehrt führen gute soziale Beziehungen zu einem wesentlich höheren Wohlgefühl und einer Ausschüttung des Beziehungshormons Oxytocin – auch Kuschelhormon genannt. Gleichzeitig geben mir gute soziale Kontakte auch das Gefühl, einer Situation nicht alleine ausgesetzt zu sein oder wie es schon bei den Beatles heißt: „I get by with a little help from my friends.“ Daher sehe ich die aktuellen Kontaktbeschränkungen auch durchaus kritisch. Es kann gut sein, dass wir hier Kollateraleffekte haben, die neben der Gefahr durch das Virus für unsere Gesellschaft auch nicht zu unterschätzen sind.

Gibt es Signale, die auf ein angeschlagenes Immunsystem hindeuten?

Ja, es gibt verschiedene Vorboten. Wenn ich beispielsweise nicht mehr gut schlafe und ich mich morgens nicht ausgeruht fühle. Wenn ich merke, dass Dinge, die mir früher Freude gemacht haben, mich gleichgültig lassen, und Treffen mit Freunden zu Terminen werden. Auch das Nachlassen der sexuellen Lust kann ein Indiz für zu viel Stress und ein Warnsignal unseres Körpers sein. Spätestens aber, wenn ich das Gefühl der Vorfreude schon länger nicht mehr im Alltag verspürt habe, sollte ich mein Leben aktiv verändern.

 

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Lalouschek ist Leiter des Gesundheitszentrums „The Tree” in Wien.

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Lalouschek ist Leiter des Gesundheitszentrums „The Tree” in Wien.