„Kann man rund um die Uhr glücklich sein?“

Die Psychologin Magdalena Lublasser-Fazal begleitet Menschen auf ihrem Weg zu einem glücklicheren Leben. Beim jährlichen Wüstenrot Gesundheitstag, an dem für Mitarbeiter neben ausführlichen Gesundheitschecks auch Vorträge angeboten werden, präsentierte sie ihren Vortrag „Raus aus alten Mustern“. Mit MEIN LEBEN sprach sie über Glück, Verhaltensmuster und Höhen & Tiefen im Leben.

„Jeder Mensch kann „glücklich sein“ nur ganz individuell für sich selbst definieren“, sagt Magdalena Lublasser-Fazal

„Jeder Mensch kann „glücklich sein“ nur ganz individuell für sich selbst definieren“, sagt Magdalena Lublasser-Fazal

In unserem Mitarbeiter-Magazin fragen wir Mitarbeiter aktuell welches Thema sie gerade bewegt. Dürfen wir auch von Ihnen wissen, was Sie aktuell besonders bewegt?
Im Jahr 2020 bewegt mich persönlich die Entwicklung in unserer Gesellschaft. Einerseits bin ich erstaunt und begeistert davon, wie anpassungsfähig wir sind und wie schnell wir Einschränkungen umsetzen können. Andererseits denke ich oft an die langfristigen Auswirkungen dieser herausfordernden Zeit für all jene Menschen, die es ohnehin schon vorher nicht leicht hatten – etwa alleinerziehende Mütter und ihre doppelte Belastung durch Homeoffice sowie ein weiter steigender finanzieller Druck. 

Laut Ihrer Website haben Sie mit Ihrer Berufung bzw. Ihrem Beruf ein sehr schönes Ziel: „Menschen auf ihrem Weg zu einem lebenswerten, glücklicheren, besseren Leben zu begleiten.“ Warum brauchen wir Menschen so oft Begleitung auf diesem Weg?
Es gibt viele Gründe, warum Menschen sich dabei professionelle Begleitung suchen - eine davon ist bestimmt, dass wir in der Hektik unserer Zeit nicht mehr den Raum dafür haben, in uns hinein zu horchen und zu erkennen: Was tut mir wirklich gut? Viele Menschen haben gar nicht gelernt, darauf zu achten, was ihnen selbst Freude bereitet. Wenn Menschen in meine Praxis kommen, sind sie meist in einem Wirrwarr aus Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen gefangen und haben das Gefühl, sich selbst nicht mehr zu kennen. Sie wissen oft nicht konkret, was sie verändern möchten. Nur, dass sie so nicht weitermachen wollen und dass sie wieder glücklicher, zufriedener und gesünder sein möchten. Wie das dann konkret aussieht, sehen wir uns in Ruhe gemeinsam an. Um wirklich authentisch glücklich zu sein, müssen wir erkennen, was uns glücklich macht - welche Bedürfnisse wir haben und wie wir diese in unserem Alltag ganz konkret leben können. Es bereitet mir sehr viel Freude, wenn ich diesen Prozess begleiten darf und die Menschen nach unserer gemeinsamen Zeit ihren Weg weiter beschreiten können. 
 
Kann man rund um die Uhr glücklich sein?
Nein, das würde nicht unserer Natur entsprechen. Auch wenn uns die Leistungsgesellschaft und die sozialen Medien vortäuschen, dass wir alle „happyhealthypeople“ werden können, wenn wir nur dieses und jenes Produkt kaufen oder uns in einer bestimmten Art und Weise verhalten. Jeder Mensch kann „glücklich sein“ nur ganz individuell für sich selbst definieren. Der eine empfindet beim Sonnenaufgang am Berg einen absoluten Glücksmoment, der andere empfindet großes Glück, wenn er mit einem Krimi auf dem Sofa liegt. Es geht nicht darum, ständig glücklich und positiv zu sein. Damit werden wir dem Mensch-Sein nicht gerecht! Wir haben viele Gefühle in den unterschiedlichsten Facetten und da gehören die angenehmen, freudigen und glücklichen Momente genauso dazu wie jene, die wir nicht so gerne spüren. Doch genau das macht unser Leben aus: Den Wechsel von sonnigen und trüben Tagen. Da kann uns die Natur ein Vorbild sein. 
Sie lieben das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen. Braucht man Tiefen, um die Höhen schätzen zu lernen?
Ob wir es wollen oder nicht, die schwierigen Situationen und Herausforderungen gehören ebenso zu unserem Leben wie die schönen Momente. Die Philosophie und die Psychologie der vergangenen Jahrhunderte lehrt uns, dass wir durch Krisen stark werden können und alle Hürden, die wir in unserem Leben meistern, unsere Selbstwirksamkeit stärken. Dabei spielt die persönliche Sichtweise eine ganz wichtige Rolle: Wenn ich erkenne, dass ich selbst aus eigener Kraft diese Hürde gemeistert habe, dann kann ich Stärke aufbauen. 
 
Beim Workshop mit Wüstenrot Mitarbeitern sprachen Sie die „ungeliebten Muster“ an. Was sind ungeliebte Muster? 
Ungeliebte Muster sind die Eigenarten an uns selbst, die uns stören und uns davon abhalten, eigene Ziele zu erreichen. Dabei geht es um unsere Gedanken, unseren Umgang mit Gefühlen und unsere Verhaltensweisen. Das kann die Art sein, wie wir mit Stress umgehen oder ein „Laster“, wie etwa unbewusste Ernährung mit dem Smartphone in der Hand. Das Wort Muster bezeichnet dabei auch wirklich ein Muster – nämlich ein Netzwerk in unserem Gehirn. Alles, was wir tun, was wir denken und wie wir auf Gefühle reagieren, ist in unserem Gehirn als Muster aus Nerven gespeichert. Dazu gehören auch die ungeliebten Muster. Sie sorgen dafür, dass wir quasi im Autopiloten-Modus funktionieren, was in vielen Situationen sehr hilfreich ist. Störend wird dieses Muster erst dann, wenn wir uns in einem bestimmten Bereich unseres Lebens verändern wollen, etwa im Umgang mit Stressfaktoren. Wenn ich bisher auf Stress stets mit Grübeln und Gedankenkreisen reagiert habe, tue ich mir schwer, dieses Muster von heute auf morgen zu verlassen. Genau dafür benötige ich Achtsamkeit: Um mir bewusst zu machen, dass ich dieses ungeliebte Muster in mir habe und um es dann zu verändern - von Moment zu Moment. 
Magdalena Lublasser-Fazal beim Vortrag vor Wüstenrot Mitarbeitern

Magdalena Lublasser-Fazal beim Vortrag vor Wüstenrot Mitarbeitern

Sie sagen, wir sollen den Körper als „wirksames Instrument“ nutzen. Was bedeutet das?
Unseren Körper haben wir immer dabei. Wir können durch Achtsamkeitsübungen, wie zum Beispiel dem Bodyscan, mehr Bewusstsein für unseren Körper, die Gefühle und Empfindungen, die wir gerade spüren, aufbauen. Vereinfacht gesagt: Wir können uns wieder besser spüren lernen. Wenn wir dann unsere ungeliebten Muster, also die störenden Verhaltensweisen, im Alltag verändern möchten, können wir in uns hineinhorchen, ein zwei tiefe Atemzüge nehmen und uns so innerhalb weniger Sekunden in den jeweiligen Moment holen. Statt wieder in den unbewussten Autopiloten des ungeliebten Musters zu fallen, können wir uns bewusst entscheiden, wie wir uns nun verhalten möchten: Im alten, ungeliebten Muster oder so, dass wir unserem Ziel näherkommen. 
 
Haben wir, als Gesellschaft betrachtet, verlernt auf unseren Körper zu hören? Oder konnten wir es noch nie besser bzw. besonders gut?
Bewegung ist Leben, dieses Zitat kommt mir oft in den Sinn, wenn ich mit meinen Klienten den Bodyscan durchführe. Niemals zuvor haben wir Menschen uns so wenig bewegt, kein Wunder also, dass auch das Körpergefühl heutzutage deutlich weniger sensibel ausgeprägt ist. Das beginnt bereits im Kleinkinderalter - Kinder bewegen sich zu wenig und können so auch nicht das nötige Feingefühl entwickeln. Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Belege dafür, dass unser Körper durch die Sinneswahrnehmungen als Instrument dazu gedacht ist, die Umgebung aber auch die Empfindungen aus unserem Inneren wahrzunehmen und an uns weiterzuleiten. Unsere Körperempfindungen, auch jene die wir anderen Menschen gegenüber spüren, dienten unseren Vorfahren wohl schon als Wahrnehmungsinstrument, lange bevor der Mensch die Sprache entwickelte. Durch die ständige Ablenkung durch Smartphone und Co. verlernen wir zudem, auf die feinen Signale unseres Körpers zu hören. Genau deshalb finden Achtsamkeitsübungen wie der Bodyscan oder auch Yoga-Seminare so viel Zuspruch - wir können diese Fähigkeiten trainieren wie einen Muskel, um wieder achtsamer für die eigenen Empfindungen zu werden. 
 
Auf Ihrer Website geht es auch oft um bewusstes Zeiteinteilen, Ziele erreichen, mehr Konzentration und Bereiche in denen man sich verbessern kann. Sind das, in der Arbeitswelt, nicht oft Schlagwörter, die letzten Endes in Stress münden – den Sie ja eigentlich managen wollen?
Höher, schneller, weiter - das kann schon ganz schön stressen! Beim sinnvollen Stressmanagement geht es darum, eigene Ziele zu finden, die uns auch Freude bereiten. Dazu müssen wir zuerst unsere Bedürfnisse kennen und uns kritisch fragen: Möchte ich das Ziel erreichen, weil es mir Freude bereitet oder weil es für mich sinnvoll ist? Oder weil ich jemanden beeindrucken möchte? Weil alle es tun? Weil ich muss? Unsere Einstellung hat einen großen Einfluss darauf, was wir als subjektiv stressig empfinden. Dabei spielen eben auch unsere Persönlichkeit und unsere jeweiligen Grundbedürfnisse eine bedeutende Rolle. Viele Menschen übersehen auch ihre aktuelle Lebenssituation und versuchen in einen ohnehin schon vollgepackten Alltag zwischen Familie, Berufsleben und Freizeit noch mehrere Ziele hineinzupacken. Das stresst zusätzlich. 
Das Zeitmanagement ist ein Faktor, den viele übersehen - Zeit ist ein so kostbares Gut, das wir im Alltag oft „verschwenden“. Dabei gibt es einen großen Unterschied, ob wir einmal ganz ohne Plan oder Termine den Nachmittag genießen oder uns planlos an unsere Aufgaben machen und dann ins Strudeln kommen. 
Ein wirklich sinnvoller Tipp, den jeder sogleich umsetzen kann: Alle Aufgaben nach dem Eisenhower-Prinzip sortieren - also nach Wichtigkeit und Dringlichkeit. So gelingt das oft zitierte Prioritätensetzen, das wiederum zu mehr Freiheit und weniger Stress führt. 
 
Sie können Psychotherapie, Beratung und Coaching aktuell von Zuhause aus anbieten. Ist das, zumindest ergänzend, auch für die Zukunft eine für Sie gute Lösung? Oder bevorzugen Sie das „face-to-face“-Setting?
Die Möglichkeit, Therapie via Telefon, Videocall oder E-Mail anzubieten, wird von vielen Psychotherapeuten schon seit Jahren gefordert. Die Erfahrungen aus der Zeit des Lockdowns zeigen, dass dieses Angebot eine sinnvolle Ergänzung zum face-to-face-Setting ist. Es bietet ja auch viele Vorteile, vor allem für Menschen, die auf Grund einer Beeinträchtigung nicht so leicht von zuhause wegkönnen oder Menschen, die nicht mobil sind. Es senkt auch vielleicht die Hemmschwelle sich in Therapie zu begeben und auch im ländlichen Raum, wo es teilweise noch wenige Therapeuten gibt, kann das digitale Angebot sehr hilfreich sein.
Ich persönlich bin erstaunt darüber, wie gut die Kommunikation funktioniert hat und ich bin dankbar für die Möglichkeit, dieses Angebot auch weiterhin anbieten zu dürfen. Doch wenn ich es mir aussuchen kann und es die Sicherheitsbestimmungen zulassen, bevorzuge ich den Austausch im echten Leben. Die digitale Kommunikation kann die zwischenmenschliche Begegnung und die „Feintöne“ unserer Gefühle und Empfindungen einfach (noch) nicht weitergeben. 
 
Haben Sie das Gefühl, dass psychische Erkrankungen, wie beispielsweise Depressionen oder Angststörungen, von der Gesellschaft im Allgemeinen bzw. von Arbeitgebern mittlerweile ernst genommen werden oder genauer gesagt als echte Krankheiten wahrgenommen und akzeptiert werden?
Ja, da hat sich in den vergangenen Jahren viel getan! Ich werde immer wieder von Klient zu Klient empfohlen - das wäre früher ganz außergewöhnlich gewesen! Außerdem war es auch vor fünf Jahren noch so, dass die meisten Menschen möglichst weit weg zur Therapie gefahren sind, um nur ja nicht gesehen zu werden. Das ist heute nicht mehr so. Ich denke, dass einerseits die Medien da gute Aufklärungsarbeit leisten und es auch hilfreich ist, dass sich immer mehr Stars wie zum Beispiel Lady Gaga dazu äußern, dass sie von psychischen Erkrankungen betroffen sind. 
 
Eine persönliche Frage an Sie: In welchem Moment haben Sie das letzte Mal bewusst gedacht „Poah, das macht mich gerade so glücklich!“?
Heute Morgen, als ich aufgewacht bin. Eines meiner Lieblingszitate der Buddhistischen Nonne Pema Chödron lautet: „I opened two gifts this morning - my eyes.“ Wir halten in unserem Alltag viele Dinge für so selbstverständlich, das wir verlernt haben, wie viele Momente es gibt, für die wir dankbar und glücklich sein können.  
 
Zu guter Letzte: Wo empfinden Sie mehr Glück, am Untersberg-Gipfel oder bei einem herrlichen Kaffee in schöner Sommer-Abendsonne?
Gute Frage! Als Mutter einer kleinen Tochter habe ich den Untersberg-Gipfel in den vergangenen Jahren nur von unten gesehen - der Gedanken an einen Aufstieg löst ein vorfreudiges Gefühl in mir aus und ich wäre bestimmt sehr glücklich, dort nach mehreren Jahren wieder oben stehen zu dürfen. Die Tasse Kaffee gehört für mich zu den Glücksmomenten im Alltag, der Sommer-Abend ist dann das i-Tüpfelchen. Ich versuche, diese kleinen Luxusmomente ganz bewusst zu genießen und verspüre großes Glück, wenn ich mir diese Auszeiten bewusst schenken kann. Ich würde also sagen: Beide Momente haben ganz andere Glücks-Qualität und es ist sehr hilfreich, das eigene Glück ein bisschen aufzuteilen.
 

Magdalena Lublasser-Fazal ist Psychologin (Universität Salzburg, Master: Klinische Psychologie) und Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision (Verhaltenstherapie). Mittels psychologischer Beratung, Coaching und Psychotherapie begleitet sie Menschen auf ihrem Weg zu einem lebenswerten, glücklicheren, besseren Leben.