Sich trauen zu träumen

Baugruppen werden immer beliebter. In einer Baugruppe entscheiden die Mitglieder selbst über ihre künftige Nachbarschaft und über die Art des Zusammenlebens. Wir stellen ein Wiener Projekt vor.

Planung Innenhof
© www.einszueins.at

Planung Innenhof

Die selbstinitiierte Baugruppe Vis-à-Wien verwirklicht sich den Traum vom gemeinschaftlichen Leben in den eigenen vier Wänden. Die Gruppe besteht momentan aus 40 Erwachsenen und 12 Kindern. Im dritten Quartal 2022 soll mit dem Bau im Wiener dritten Bezirk in der Nähe des Hauptbahnhofs  begonnen werden. Ziel ist ein „Wohnen auf Augenhöhe mit Mensch, Stadt und Umwelt“, wie sie auf ihrer Website schreibt. Was damit gemeint ist, erklärt Mitinitiator Benedikt Hanser im Gespräch mit „Mein Leben“.

Herr Hanser, wie ist die Baugruppe Vis-à-Wien entstanden?

Ausgegangen ist das Ganze von zwei befreundeten Pärchen, die sich das Projekt ausgedacht und im Frühjahr 2019 initiiert haben. Sie haben zunächst Personen aus ihrem Umfeld eingeladen, um ihre Pläne zu präsentieren. Von ursprünglich rund 40 Leuten haben sich dann zehn langfristig engagiert und einen Verein gegründet.

Benedikt Hanser wurde 1989 in Tirol geboren. Seit 2008 lebt er in Wien. Der Architekt arbeitet in den Bereichen Architektur, Grafik und Design. Er hat eine zweijährige Tochter.

Wie ging es dann weiter?

Schon kurz nach der Gründung haben wir uns entschlossen, bei einem Bauträgerwettbewerb der Stadt Wien um ein Grundstück mitzumachen. Im Jänner 2021 haben wir den Wettbewerbsentwurf eingereicht. Dabei wurden wir von einem Projektteam unterstützt. So ein Projektteam schreiben die Wettbewerbsbedingungen der Stadt Wien vor. Dazu gehören ein Architekturbüro, ein Bauträger und ein Büro oder eine Kompetenzstelle für soziale Nachhaltigkeit. Und da haben wir es geschafft, ein starkes Team mit an Bord zu holen. Im Frühjahr 2021 kam dann die Zusage: Wir haben den Wettbewerb gewonnen. Jetzt geht es um die Realisierung und Einreichung.

Was passiert in dieser Phase?

Für den Wettbewerb mussten wir bereits einen konkreten Vorentwurf einreichen. Darauf aufbauend sind wir gerade in der Einreichphase. Aktuell sind wir dabei, Lösungen für den Brandschutz zu entwickeln, denn wir haben den großen Ehrgeiz, ein Holzhaus zu bauen, auch aus ökologischen Gründen. Bestimmte Auflagen für Holzbau sind allerdings in einem öffentlich geförderten Wohnungsbauprojekt schwer umsetzbar, so dass wir jetzt prüfen, ob wir bei unseren ursprünglichen Plänen bleiben können.

Bauplatz, Anstoßen auf Wettbewerbsgewinn

Bauplatz, Anstoßen auf Wettbewerbsgewinn

Was ist das Besondere an einer Baugruppe?

Der wichtigste Unterschied zu einem normalen Bauträgerprojekt ist: Wir sind selbstinitiiert, wir entscheiden selber, was gebaut wird und wie das Gebäude ausschaut. Wie in den meisten Baugruppen wird es auch bei uns viele Gemeinschaftsangebote geben. Generell kann man sagen, eine Baugruppe ist wie ein kleines Dorf in der Stadt. Wir versuchen, aus der städtischen Anonymität herauszukommen.

Was bedeutet das? Wie wollen Sie leben?

Unser Ziel ist, an dörfliche Strukturen anzuknüpfen. Das fängt beim gemeinsamen Einkauf an – also ohne Zwischenhändler und ohne Supermärkte. Oder geteilte Mobilität: Wir sind sehr fahrradorientiert und planen eine Werkstatt, die für alle zugänglich ist. Auch andere gemeinschaftliche Aspekte sind uns wichtig, wie Gemeinschaftsräume, gemeinsame Küchen aber auch Gärten oder Dachterrassen. Wir versuchen ökologisch zu bauen. Und achten gleichzeitig achten wir auf Leistbarkeit. Das heißt, das Gebäude darf kein Spekulationsobjekt sein, sondern muss dauerhaft für die Bewohnenden bezahlbar bleiben. Und drittens wollen wir zu einem Zentrum im Grätzl werden. Wir werden unsere Räumlichkeiten deshalb auch für die Nachbarschaft außerhalb der Baugruppengemeinschaft öffnen.

Wie ist die Baugruppe rechtlich aufgestellt?

Wir sind ein Verein und orientieren uns am Genossenschaftsmodell. Realisiert wird das Projekt von einem gemeinnützigen Bauträger, in dessen Besitz das Gebäude verbleibt. Generalmieter ist unser Verein. Und wir vermieten an uns selber als Mitbewohner*innen.

Und wie wird das Projekt finanziert?

Da der Bauträger im Besitz des Gebäudes bleibt, trägt er die Kosten der Errichtung und auch der Planung. Wir zahlen lediglich den partizipativen Anteil der Planung, auch der Planung für soziale Nachhaltigkeit. Natürlich haben wir daneben noch Kosten, etwa für Steuerberatung oder juristische Begleitung. Diese Kosten haben wir durch Direktkredite von uns selbst vorfinanziert - also ohne Bankkredit.

Können denn auch Menschen bei Ihnen einziehen, die nicht in der Lage sind, in Vorleistung zu gehen?

Wir achten auf Leistbarkeit. Deshalb haben wir auch versucht, die Kosten pro Person möglichst niedrig zu halten und wir setzen auf finanzielle Solidarität. Es gibt eine Mietstaffelung. Es gibt teurere Wohnungen und günstigere, unabhängig von der Wohnungsgröße. Damit wollen wir eine soziale Vielfalt erreichen. Ein großes Thema ist auch die Altersnachhaltigkeit: Das Haus soll Wohnansprüchen in allen Lebensphasen genügen. Es gibt deshalb eine große Bandbreite an Wohnungen, die die Bandbreite an Menschen widerspiegelt.

Planung außen
© www.einszueins.at

Planung außen

Wie können sich die Mitglieder bei der Planung einbringen?

Wir sind soziokratisch organisiert, d.h. es gibt Arbeitskreise, die sich mit einzelnen Themen befassen. Ich bin z.B. im Arbeitskreis für Öffentlichkeit und deshalb führen wir heute zusammen dieses Gespräch. Dann gibt es einen Arbeitskreis für Architektur, der sich gemeinsam mit den Architekt*innen um die Planung des Projekts kümmert. Aber man kann sich überall einbringen. Wir machen auch immer wieder Workshops in der ganz großen Gruppe.

Was sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren, damit ein Baugruppenprojekt gelingt?

Sehr wichtig ist die Kommunikation in der Gruppe, dass alle Leute immer wieder abgeholt und informiert werden. Es geht ja um sehr viele verschiedene Dinge in so einem Projekt. Nicht nur bei der Architektur müssen Entscheidungen gefällt werden. Man muss immer alle miteinbeziehen und gleichzeitig versuchen, selbst am Ball zu bleiben. Teil der Gruppe zu sein, heißt auch Zeit aufzuwenden. Das aufeinander Achtgeben ist sehr wichtig. Sich trauen zu träumen auch. Und eine klare Vision zu haben.

Mehr Infos zum Projekt:
 

  • Siegerprojekt auf dem Baufeld 11B –Bauträgerwettbewerb „Village im Dritten“, 1030 Wien
  • Die Baugruppe Vis-à-Wien ist in eine im Rahmen des Wiener Wohnbaus geförderte Wohnanlage integriert.
  • Die Erdgeschosszone soll durch einen Kindergarten, ein SOS-Kinderdorf, Gastronomie und Co-Working-Spaces genutzt werden.
  • Geplant sind unterschiedliche Wohnungstypen für die Wohnbedürfnisse aller Generationen und Lebenslagen. Dazu gehört auch das Zentrum für Getrennte und Alleinerziehende – Juno.

Planung:

  • Geplanter Baubeginn: 3. Quartal 2022
  • 9 Geschoße in Holz-Hybrid-Bauweise
  • 72 geförderte Wohnungen
  • 39 Wohneinheiten und 500 m2 Gewerbe für die Baugruppe vis-à-wien
  • Planung: einszueins architektur und feld72 architekten
  • Bauherrin: Schwarzatal
  • Interdisziplinäre Projektbegleitung: realitylab
  • Weitere Infos: www.vis-a-wien.at