Gegen die Hitze:
Fernkälte für Privathaushalte

Die Sommer werden immer heißer, besonders in den Städten. Fernkälte bringt nachhaltige Abkühlung aus der Leitung. Wir erklären, wie Fernkälte funktioniert und ob sich die Technik auch für Privathaushalte eignet.

Angenehmes Klima: Fernkälte ermöglicht wohltemperierte Räume auch im Hochsommer.

Angenehmes Klima: Fernkälte ermöglicht wohltemperierte Räume auch im Hochsommer.

Das Thermometer zeigt mehr als 30 Grad Celsius, die Luft steht und die Wohnung fühlt sich an wie eine Sauna. In Wien beispielsweise hat sich die Zahl der Hitzetage in den letzten 30 Jahren verdoppelt. Wäre es da nicht toll, wenn Heizkörper die Räume nicht nur heizen, sondern auch kühlen könnten? Genau diese Lösung verspricht Fernkälte. Sie funktioniert ähnlich wie Fernwärme. Sie bringt Abkühlung ohne die typischen Nachteile einer Klimaanlage: Lärm, Zugluft, hohen Strom- und CO2-Verbrauch. Du überlegst, ob das für dich eine Möglichkeit sein könnte? Die wichtigsten Fakten zur Fernkälte erfährst du hier:

So funktioniert Fernkälte

Fernkälte funktioniert ähnlich wie Fernwärme, nur fließt dabei anstelle von warmen Wasser kaltes Wasser durch die Rohre. Das Wasser wird in einer Kältezentrale über Kältemaschinen auf eine Temperatur von um die sechs Grad gekühlt. Das Kaltwasser gelangt über die unterirdischen Rohrleitungen des Fernkältenetzes zu den Gebäuden. Dort wird die Kälte auf den Kühlkreislauf des jeweiligen Hauses übertragen, nimmt dabei die Abwärme des Hauses auf und läuft mit zirka 16 Grad zur erneuten Abkühlung zurück in die Kältezentrale.

Die Kälteerzeugung erfolgt hauptsächlich in Absorptionskältemaschinen, die die Abwärme aus Industrie, Kraftwerken oder Abfallverbrennungsanlagen in Kälte umwandeln. Kompressionskältemaschinen verwenden elektrischen Strom als Antriebsenergie.

Es werden aber auch natürliche Kältequellen wie Flusswasser oder kalte Luft für die Kälteerzeugung eingesetzt. Dieses Verfahren wird Free Cooling genannt. So wird in Linz natürlich gekühltes Wasser aus der Donau für die Fernkälteerzeugung eingesetzt.

In Gebieten, die mit Fernwärme versorgt werden, wird diese Fernwärme aber auch oft dezentral in kaltes Wasser umgewandelt, um große Gebäude zu kühlen. Den Abnehmern wird also wie im Winter auch im Sommer heißes Wasser geliefert. Erst vor Ort wird Kälte erzeugt. So wird Fernwärmenetze in der wärmeren Jahreszeit stärker ausgelastet. Gleichzeitig wird das Stromnetz an diesen warmen Tagen entlastet, da weniger strombetriebene Kältemaschinen benötigt werden.

Kühlung ohne das Klima zu belasten

Der Kälteverteiler einer Fernkälteanlage von Wien Energie
© Wien Energie/Christian Houdek

Der Kälteverteiler einer Fernkälteanlage von Wien Energie

Die steigenden Temperaturen und die länger anhaltenden Hitzeperioden sind besonders schweißtreibend in den Metropolen, in Häusern in Südlage oder in Dachwohnungen. Spätestens nach sieben Tagen konstanter Hitze erschöpfen sich die bewährten Maßnahmen wie Lüften in den frühen Morgenstunden, Sonnenschutz an den Fenstern, feuchte Tücher und Ähnliches. Viele Menschen behelfen sich deshalb mit Ventilatoren oder mobilen Split-Klimageräten, einer Kombination aus Innen- und Außengerät. Büro-Arbeitsräume sind oft mit Klimaanlagen ausgestattet. 

Klimafreundlich sind diese Lösungen jedoch nicht. Herkömmliche Klimaanlagen haben nicht nur einen hohen Stromverbrauch, sie arbeiten oft auch mit klimaschädlichen Kältemitteln wie fluorierten Kohlenwasserstoffen.

Bei der Fernkälte dagegen wird für die Kälteerzeugung nur in Ausnahmefällen Strom verwendet. Meist wird Abwärme genutzt, die sowieso entsteht – beim Verbrennen von Müll oder bei der Stromerzeugung in Kraftwerken, außerdem kühles Flusswasser und damit eine erneuerbare Energiequelle. Gegenüber herkömmlichen Klimaanlagen ist dadurch vier bis zehn Mal weniger Primärenergie nötig. Ebenso viel spart das an CO2. Außerdem ist eine Fernkälte-Großanlage wesentlich effizienter als viele kleine Klimageräte.

Bei Fernkälte hingegen kommt die Energie für die Kältezentrale aus der Abwärme, weshalb im Vergleich zu herkömmlichen Klimaanlagen rund 50 Prozent CO2 eingespart wird. Auch beim Energieverbrauch ist die Fernkälte der dezentralen Technik oft überlegen, da sich die großen Anlagen effizienter betreiben lassen, als eine Versorgung mit einzelnen Klimaanlagen in Gebäuden.

Cooles Wien

Vorreiter Wien: So ist das Fernkältenetz von Wien Energie aufgebaut.
© Wien Energie

Vorreiter Wien: So ist das Fernkältenetz von Wien Energie aufgebaut.

Im Jahr 2022 gab es in Österreich ein Fernkältenetz von 132 Kilometern, davon entfielen 80 Prozent auf Wien. Die Fernkälteleistung in Wien wächst pro Jahr um rund 10 bis 15 Prozent. Derzeit werden ungefähr 180 Gebäude mit Fernkälte versorgt, vor allem Krankenhäuser, Bürogebäude und Hotels. Die Fernkältezentrale am Schottenring beispielsweise kühlt prominente Bauten wie die Universität, die Nationalbank, das Hotel Kempinski und den Ringturm. Fernkälte wird in Wien aber auch für große Wohnbauten eingesetzt. So hat Wien Energie im Keller eines neuen Wohnhauses im Nordbahnviertel eine Kältezentrale eingerichtet, die Kältemaschine und Wärmepumpe zugleich ist. Die Kühlleistung für die 1.000 Haushalte entspricht umgerechnet der von 680 herkömmlichen Klimaanlagen. Dadurch werden 230 Tonnen CO2 eingespart.

Vor- und Nachteile von Fernkälte

Fernkälte ist eine Zukunftstechnologie, die bisher hauptsächlich bei Bürokomplexen, Hotels, Krankenhäusern und öffentlichen Gebäuden zum Einsatz kommt. Das wird vom Staat gefördert wird. Da nie nur einzelne Haushalte an Fernkälte angeschlossen werden, können jedoch auch keine einzelnen Haushalte Förderung beziehen, sondern nur ein Investor wie Wien Energie oder ein Bauträger beziehungsweise Immobilienbesitzer im Zuge eines Neubaus oder der Sanierung eines Gebäudes.

Warum das so ist, erklärt Jürgen Hering, Experte für Fernkälte bei den SWM Stadtwerke München: „Die Verlegung der Rohrleitung ist sehr aufwendig. Entgegen einer häufigen Vermutung kann nicht ein und dasselbe Rohrsystem für Fernwärme und Fernkälte verwendet werden. Denn einerseits wird das Fernwärmesystem auch im Sommer zur Warmwasserbereitung benötigt, andererseits sind die Rohrleitungen für Fernkälte  wesentlich größer.“ Zudem eignet sich Fernkälte nur für innerstädtische Gebiete. Deshalb ist Fernkälte für Eigentümer von Einfamilienhäusern meist keine Option.

Aber auch in  Mehrfamilienhäusern ist Fernkälte noch eine Seltenheit. „Noch sind der Aufwand und die Kosten im Wohnungsbau für viele Eigentümer beziehungsweise Bauträger zu hoch“, ist Jürgen Hering überzeugt. „Und bei den eh schon hohen Mieten in den Metropolen sind auch die Mieter nicht bereit, dafür eine weitere Mieterhöhung zu akzeptieren.“ Wenn es Anfragen für Fernkälte für Wohngebäude gibt, dann kommen diese meist von Eigentümern von Luxuswohnungen im Stadtzentrum.

Technologie mit Zukunft

Auch wenn Fernkälte bisher noch keine Technologie für die Massen ist, sieht Jürgen Hering dennoch großes Potenzial für die Zukunft: „Im Zuge des Klimawandels wird das Thema an Bedeutung gewinnen. Ich sehe es nur als eine Frage der Zeit, bis sich Fernkälte durchsetzt, auch in der Wohnungswirtschaft. Niemand will den Lärm und die heiße Abluft von Splitgeräten haben, die wir irgendwann auf jedem dritten Balkon sehen werden. Darauf hat keiner Lust.“

Abgesehen von der besseren Umweltbilanz sieht Hering noch weitere Vorteile der Fernkälte. „Raum ist in Metropolen Gold wert. Wenn ein Eigentümer keine Kälteanlagen im Keller und Rückkühler auf dem Dach braucht, spart er Platz und kann den Keller vermieten oder auf dem Dach eine hochpreisige Penthousewohnung oder einen Spa-Bereich mit Bar einrichten. Das ist zum Beispiel für Hotels interessant.“
Auch Städteplaner wünschen sich zentrale Kältesysteme, denn die Rückkühlanlagen auf den Dächern sehen nicht nur unschön aus, sie widersprechen auch oftmals dem Denkmalschutz. Daher ist die Nachfrage nach Fernkälte in der Wiener Innenstadt besonders groß. Neben begrünten Fassaden und mobilen Bäumen will die Stadt Wien auch mit Fernkälte die Bruthitze im Sommer bekämpfen.

FAQ – häufig gestellte Fragen

Wie funktioniert Fernkälte für Privathaushalte?
Fernkälte für Privathaushalte wird entweder durch zentrale Anlagen bereitgestellt, die Kaltwasser erzeugen und dieses über ein Fernkältenetz zu den Verbrauchern transportieren. In Wohngebäuden, die an ein Fernwärmenetz angeschlossen sind, kann die Fernwärme aber auch durch Kältemaschinen vor Ort in Kälte umgewandelt werden. Die Kälte wird über Wärmetauscher an Wasser übertragen, das durch das Gebäude zirkuliert. Dabei gibt das Wasser die Kälte an die Raumluft in den Wohnungen ab und wird anschließend erneut gekühlt.

Wie kann man Fernkälte in der Wohnung nutzen?
Um Fernkälte in einer Wohnung nutzen zu können, muss das Gebäude an ein Fernkältenetz angeschlossen sein. In Ausnahmefällen wird in Gebäuden, die  Fernwärme beziehen, die Fernwärme in Sommer für die Kälteerzeugung eingesetzt. In beiden Fällen benötigt das Haus ein entsprechendes Kühl- oder Belüftungssystem. Das wird bei Neubau von vornherein mitgeplant.Eine Nachrüstung ist Bestand sehr aufwändig und wird meist nur im Zuge umfassender Sanierungen durchgeführt.

Wie meldet man sich für Fernkälte an?
Fernkälte eignet sich nur für innerstädtische Gebiete. Deshalb ist Fernkälte für Eigentümer von Einfamilienhäusern meist keine Option. Prüfe zunächst , ob es ein Fernkältenetz in der Nähe deines Gebäude gibt und ob ein Anschluss möglich wäre. Wende dich hierzu an deinen lokalen Energieversorger wenden. Beim Bau des Gebäudes muss außerdem ein Kühl- oder Belüftungssystem mitgeplant werden.