Frei geplant:
Darauf kommt es beim Architektenhaus an

Architektenhaus klingt nach einer teuren Angelegenheit. Das Vorarlberger Architekten-Duo Judith Wellmann und Martin Ladinger verrät „200 Gründe“, warum es sich lohnt, das Traumhaus mit Profis zu bauen.
(Interview aus dem Jahr 2019)

Keine Projekte von der Stange: Das Vorarlberger Architekten-Duo Judith Wellmann und Martin Ladinger schneidern individuell zugeschnittene Traumhäuser.
© Wellmann Ladinger

Keine Projekte von der Stange: Das Vorarlberger Architekten-Duo Judith Wellmann und Martin Ladinger schneidern individuell zugeschnittene Traumhäuser.

Vom eigenen Haus träumen viele. Was ist das Besondere am Architektenhaus?

Martin Ladinger: Architektenhaus hat einen negativen Beigeschmack: Man verbindet es mit Eigenschaften wie aufwendig, kompliziert und teuer. Wir haben keine große Freude mit der Bezeichnung. Es geht schließlich nicht um das Haus des Architekten, sondern der Begriff umschreibt den Prozess des gemeinsamen Planens mit dem Architekten. Wir sehen es als unsere Aufgabe, die Bauherren dort abzuholen, wo sie stehen und gemeinsam zum Haus zu gelangen. Am Ende stehen wir beide auf einem höheren Level als zu Beginn. Das heißt, auch der Architekt entwickelt sich weiter.

In die Umgebung eingebettet: Das Holzhaus in Schlins ist durch einen benachbarten Altbau inspiriert.
© Bruno Klomfar

In die Umgebung eingebettet: Das Holzhaus in Schlins ist durch einen benachbarten Altbau inspiriert.

Wie das?

Martin Ladinger: Bauherren und Architekten wissen am Anfang nicht, wie das Endprodukt aussieht. Jeder Prozess ist ein kompletter Neustart auf der grünen Wiese. Außerdem geht es für den Architekten um mehr als bloß darum, ein Haus für die Familie zu bauen. Das Architektenhaus ist eine Auseinandersetzung mit der Baukultur: Wir beschäftigen uns mit dem Bauort, der Entwicklung der Umgebung und stellen uns die Frage, welches Haus am besten passt. Diese Verantwortung tragen wir als Architekten gegenüber der Gesellschaft.

Natürliche Baustoffe für gesundes Wohnen
© Wellmann Ladinger

Natürliche Baustoffe für gesundes Wohnen

Warum kann es sich für Bauherren lohnen, mit einem Architekten zu bauen?

Judith Wellmann: Ich glaube, es gibt hundert Gründe dafür. Der Architekt ist der Profi, der die Kenntnis hat weiterzudenken und auf die Umgebung einzugehen. Er ist der Profi, was Vor- und Nachteile einzelner Baumaterialien angeht. Er ist hoffentlich auch der Profi darin, die Bedürfnisse der Bauherren zu erkennen. Wenn der Bauherr sagt: Ich will eine toskanische Villa, muss der Architekt in der Lage sein herauszufinden, was der Bauherr damit meint. Was er wirklich möchte. Ein Haus zu bauen ist schließlich eine Entscheidung, bei der wir nicht von tausend Euro sprechen, sondern eher von einer halben Million. Da ist es schlicht und einfach gefährlich, ohne Fachmann zu arbeiten.

Martin Ladinger: Für mich ist es oft erschreckend, wie viel Zeit sich Menschen nehmen, wenn sie die Farbe ihres Autos wählen. Sie klappern unzählige Autohäuser ab, um sich zwischen metallic blau und nachtblau zu entscheiden. Aber wie Wenige machen sich Gedanken darüber, wie sie wohnen? Ein Haus ist nicht von heute auf morgen aufgestellt, man wächst hinein. Ich bin gerade Vater geworden und hatte neun Monate Zeit, mich auf mein Kind vorzubereiten. Beim Haus brauche ich Zeit, um zu reflektieren, zu hinterfragen, in mich zu kehren und mich damit zu beschäftigen, was ich will und wo ich leben möchte.

Ein so intensiver Prozess klingt teuer...

Judith Wellmann: Das kommt darauf an, mit welchem Architekten man baut. Sicher gibt es einige, die nur hochpreisige Bauten durchführen. Doch das ist bloß eine Gruppe.

Martin Ladinger: Wir arbeiten vornehmlich mit jungen Familien, deren Budgets begrenzt sind. Aus diesen Budgets holen wir das Maximum heraus. Wenn aber jemand ohne Budgetrahmen zu uns kommt und ein Haus von 500 Quadratmetern möchte, werden wir uns auch der Aufgabe stellen (lacht).

Bestandsimmobilie aus den 70ern: Aus dem Altbau haben die Architekten ein modernes Zuhause geschaffen.
© Wellmann Ladinger

Bestandsimmobilie aus den 70ern: Aus dem Altbau haben die Architekten ein modernes Zuhause geschaffen.

Haben Sie Tipps, wie Bauherren den richtigen Architekten finden?

Martin Ladinger: Ich glaube, es funktioniert nur sehr bedingt, dass man diesen aus dem Katalog aussucht. Wir hatten auch Fälle, bei denen Leute im Internet zwei oder drei Bilder von einem unserer Projekte gesehen haben und meinten, das wäre das Richtige. Wir gehen aber immer neu auf die Bausituation und den Bauherren ein. Wenn jemand kommt und meint, er möchte genau dieses Haus…

Judith Wellmann: …dann ist er bei uns falsch.

Martin Ladinger: Ein Hausbau ist kein Kleiderkauf: Man kauft nicht ein Stück von der Stange und fragt, ob es den Pullover auch in blau gibt. Zu uns kommen viele Bauherren über Mundpropaganda. Sie hatten Kontakt mit anderen Bauherren und haben von außen einen Einblick in den Prozess bekommen.

Sie raten also, sich bei anderen Bauherren zu erkundigen?

Martin Ladinger: Uns hat es immer sehr geholfen, es kann aber auch anders funktionieren. Wenn man sich auf einen Architekten und den Prozess einlässt, dann pickt man ja etwa eineinhalb Jahre aufeinander. Da geht es nicht nur ums Haus, sondern ums Menschliche. Ob man mit einem Architekten gut kann, das sieht man schon am Anfang. Wir machen für Kunden immer einen Vorentwurf. Danach entscheiden wir gemeinsam, ob wir weitermachen. Wir gehen lieber im Guten und schnell auseinander, als vielleicht nicht die Richtigen füreinander zu sein.

Judith Wellmann: Einmal haben wir einen Vorentwurf für einen Bauherren gemacht und wussten, dass er sich auch bei einem zweiten Architekten erkundigt. Er hat sich nach dem Entwurf für den Zweiten entschieden. Dieses Vorgehen ist ebenfalls möglich und für uns auch okay.

Materialmix: Bei diesem viergeschossigen Wohnhaus in Batschuns kamen Beton und Weißtanne zum Einsatz.
© Marc Lins

Materialmix: Bei diesem viergeschossigen Wohnhaus in Batschuns kamen Beton und Weißtanne zum Einsatz.

Sie haben davon gesprochen, dass der Architekt bei der Planung die Umgebung berücksichtigt. Welche weiteren Informationen benötigen Sie vom Bauherrn?

Judith Wellmann: Wir müssen zum Beispiel wissen, ob auf dem Grundstück bereits jemand lebt oder ob der Bauherr vorhat, eine Familie zu gründen. Außerdem fordern wir ihn auf, Bilder auszusuchen, mit denen er positive Gefühle verbindet und zu erklären, was ihm daran gefällt. Dabei geht es nicht um spezielle Architekturstile, es kann sich auch um irgendein kleines Detail handeln.

Martin Ladinger: Mit diesen Stimmungsbildern und Eindrücken haben wir Ansatzpunkte für die weitere Diskussion. Sie sind eine Basis und zeigen, was dem Bauherren wichtig ist. Oft haben wir Vorstellungen von früher übernommen, sie sammeln sich von Kindheit an. Da war Omas Eckbank so schön, dass man sie ins Haus hineinpacken will. Darüber diskutieren wir dann.

Können Sie hier ein Beispiel geben?

Martin Ladinger: Man ist jung verliebt, lebt zu zweit auf 30 Quadratmetern in Wien und hat einen Holzofen, den man täglich einmal anfeuern muss, um nicht zu erfrieren. Bei der Hausplanung meint man dann, fürs Einfamilienhaus ebenfalls einen Holzofen zu wollen. Dann fragen wir nach: Sie sind berufstätig, wer ist am Tag zuhause und heizt nach? Oder wir zeigen auf, dass der Ofen einen höheren Holzbedarf hat, wenn er ein Einfamilienhaus warmhalten soll. Meist stellt der Bauherr dann selbst fest, dass das doch nicht die richtige Lösung ist. Man hat aber darüber gesprochen. Nicht der Architekt hat mir den Holzofen verboten, sondern wir haben gemeinsam festgestellt, dass dieser nicht die richtige Lösung ist.

Judith Wellmann: Wenn ein Bauherr mit einer Vorstellung zu uns kommt, die wir nicht richtig finden, zeichnen wir sie dennoch auf und erklären das Für und Wider. Man hat ihn ernst genommen und einen Versuch unternommen.

Martin Ladinger: Ernstnehmen ist ein schönes Wort! Das zeigt das Partnerschaftliche am Planen. Wir behaupten nicht, dass wir alles wissen und dass der Bauherr keine Ahnung hat, weil er nicht vom Fach ist. Auf ihn einzugehen und zu erklären, warum etwas funktioniert oder nicht, ist wichtig.

Das Esszimmer des Betonhauses überzeugt nicht zuletzt durch die grandiose Aussicht.
© Marc Lins

Das Esszimmer des Betonhauses überzeugt nicht zuletzt durch die grandiose Aussicht.

Wichtig ist auch der Budgetrahmen. Wie unterstützen Sie Bauherren dabei, die Kosten im Blick zu behalten?

Martin Ladinger: Wir wissen, was unser Standort pro Quadratmeter kostet und sind immer dahinter, dass sich der Bauherr mit seinem Flächen- und Raumbedarf auseinandersetzt. Wir kommunizieren von Anfang an, dass er keine 200 Quadratmeter für sein Budget bekommt, sondern vielleicht nur 150. Das Schlimmste wäre, wenn im Planungsprozess Kosten auftauchen, derer man sich nicht bewusst war. Dann würde es schwierig, mühsam, die Planung müsste von vorn losgehen – und das Vertrauen in den Architekten wäre verloren. Deshalb legen wir im ersten Gespräch bereits die Baukosten fest, kommunizieren, was darin enthalten ist und ob es sich um Brutto- oder Nettopreise handelt. Damit wir dieselbe Sprache sprechen.

Judith Wellmann: Wir machen die Kosten in einer Liste transparent. Darin zeigen wir nicht nur die Baukosten, sondern auch, was noch hinzukommt.

Martin Ladinger: Das Fertigteilhaus hat den Ruf vom Fixpreis: Man wählt ein Element im Katalog und nach der Bestellung ändert sich nichts mehr. Doch das kann der Architekt genauso. Es geht nur darum, dass man die Kosten gut aufschlüsselt und kommuniziert.

Judith Wellmann: Manchmal kann der Bauherr sogar sparen, wenn er nicht von der Stange kauft. Bei unserem ersten Bau, einem kleinen Kiosk, wollte die Bauherrin beispielsweise einen Fertigkiosk neben einem Bach aufstellen. Der Bauherr war nicht überzeugt und kam zu uns. Wir haben einen Fertigteilkiosk hineingezeichnet und geprüft, ob sich dieser für den Standort eignen würde. Es hat sich herausgestellt, dass der Bach als Gefahrenzone ein völlig anderes Fundament, einen anderen Sockel braucht. Mit dem Holzkiosk aus dem Katalog wären die Bauherren nicht durchgekommen. Abgesehen davon kam schlussendlich heraus, dass unsere Variante sogar günstiger war.

Wo gibt es sonst noch Einspar-Potenziale?

Martin Ladinger: Was brauche ich wirklich für mein Haus? Das ist immer ein Thema. Wenn ich ein Kinderzimmer plane und zwischen zehn beziehungsweise fünfzehn Quadratmetern schwanke, überlege ich, wie lange sich das Kind im Zimmer aufhält. Was fängt es mit den zusätzlichen fünf Quadratmetern an? Abgesehen davon: Was passiert, wenn das Kind in zehn Jahren auszieht? Wie kann ich das Zimmer später nutzen, es etwa in zwei Räume unterteilen oder eine Einlegewohnung für die Pflegekraft einplanen? Wie kann ich das Haus an meinen Lebenszyklus anpassen? Das sind Kosten, die vielleicht anfangs nicht ausschlaggebend sind. Doch wenn in zwanzig, dreißig Jahren das alternde Ehepaar nicht allein wohnen möchte, können zwei Wohnungen in einem Haus Kosten sparen.

Schmale Fluchten mit viel Licht
© Marc Lins

Schmale Fluchten mit viel Licht

© Marc Lins

Das sind langfristige Überlegungen, aber wie sieht es etwa bei der Materialwahl aus? Kann man hier auch Kosten sparen? 

Judith Wellmann: Die Qualität der Materialien der Oberflächen trägt häufig nicht wesentlich zu den Kosten bei. Darüber sind sich Bauherrn oft nicht bewusst. 

Martin Ladinger: Ob der Fußboden fünf Euro mehr oder weniger kostet, das macht auf 100 Quadratmeter keinen Unterschied. Wenn ich allerdings zehn Quadratmeter weniger habe, weil ich einen vernünftigen Grundriss plane, dann ist das relevant für mein Baubudget.

Wie lange muss man denn für ein Architektenhaus einplanen vom ersten Kunden- bis zum Einzugstermin?

Martin Ladinger: Eineinhalb Jahre. Gewisse Prozess dürfen nicht zu lange dauern, deshalb rechnen wir mit einem halben Jahr für die Planung und einem Jahr Bauzeit für ein Einfamilienhaus. Wir fangen meist im Januar mit dem Bauen an, dann steht der Bau nicht über den Winter und wird automatisch Ende des Jahres fertig. Als Stichtag für den Einzug wünschen sich viele die Weihnachtsferien.

Gibt es noch einen Tipp, den Sie künftigen Bauherren mit auf den Weg geben wollen?

Judith Wellmann: Wichtig ist, sich die eigenen Bedürfnisse klar zu machen. Sich das halbe Jahr für den Entwurf zu nehmen. Die Beschäftigung gibt sowohl dem Bauherrn als auch dem Architekten viel.

Martin Ladinger: Man ist nicht allein, sondern wird vom Architekten unterstützt und kann mit den blödesten Fragen kommen. Er wird sie beantworten. Man hat jemanden an seiner Seite, mit dem man das Optimum erreicht. Generell ist es nichts Abschreckendes, sondern man gewinnt dadurch und lernt. Man sollte weniger fragen, welche Fehler gemacht werden, sondern positiv an die Sache herangehen. Es ist keine Qual, sondern kann ein lustvoller Prozess sein.

ZU DEN PERSONEN

Dipl.-Ing. Judith Wellmann und Dipl.-Ing. Martin Ladinger arbeiten bereits seit dem Jahr 2000 zusammen, als sie gemeinsam bei Baumschlager & Eberle Architekten in Lochau am Bodensee zeichneten. Nach dem Wechsel in andere namhafte Vorarlberger Architekturbüros wollten sie weiterhin gemeinsam arbeiten. Für ausgewählte Bauherren, für Freunde. www.wellmann-ladinger.com