Die Pension als Karriereschritt:
„Traut euch, eure Erfahrung ist gefragt“

Das Startup WisR macht sich die Lebensweisheit der Pensionisten zunutze. Es hilft Senioren, neue berufliche Herausforderungen zu finden. Gründerin Klaudia Bachinger erklärt, warum ältere Mitarbeiter für Unternehmen so wertvoll sind.

Das Wiener Startup WisR hilft weltoffenen und aktiven Pensionisten, den Silver Agern, noch einmal durchzustarten.

Das Wiener Startup WisR hilft weltoffenen und aktiven Pensionisten, den Silver Agern, noch einmal durchzustarten.

Dutt und Brille sind ihr Markenzeichen, ein besseres Leben in der Pension ihre Vision: Klaudia Bachinger ist gerade einmal 32 Jahre jung und trotzdem steht die Pension im Zentrum ihres Lebens. Nicht etwa, weil sie es kaum erwarten kann, sich in den Ruhestand zu begeben. Für sie ist die Pension ein guter Zeitpunkt für einen Neuanfang – auch beruflich. Deshalb hilft sie mit ihrem Wiener Startup WisR weltoffenen und aktiven Pensionisten, den Silver Agern, wie sie sie nennt, noch einmal durchzustarten.

Auf der Suche nach Beschäftigung

Schon vor der Gründung von WisR hat Bachinger sich journalistisch mit den Themen Silver Society und Zukunft der Arbeit beschäftigt. Ihren Job bei einer Filmproduktionsfirma hat die Unternehmerin aber aufgegeben, um eine neue berufliche Herausforderung zu finden. „Ich bin zu Fuß nach Rom gegangen. Auf meinem Weg sind mir viele Pensionisten begegnet, und alle haben sich gewünscht, wieder eine Beschäftigung zu haben“, erzählt die Gründerin. Bei ihrer eigenen Oma hat sie erlebt, wie schwer es ist, bereits mit 60 in Pension zu gehen und sich dann nicht mehr gebraucht zu fühlen und keine Wertschätzung mehr zu erfahren. „Altersdepression und Altersarmut sind große Probleme. Viele Menschen – vor allem Frauen – erhalten nur 500 Euro Pension“, weiß Bachinger. Diese Themen geht die tatkräftige Mostviertlerin gemeinsam mit ihren Mitgründern Carina Roth und Martin Melcher in der WisR GmbH nun an. Sie vermittelt Jobs für Senioren.

Warum der Name WisR? „Job, Arbeit, Pension oder Senior – das sind alles negativ besetzte Begriffe“, erklärt Bachinger. „Weisheit im Sinne von Lebenserfahrung sowie der Fähigkeit, Muster schneller zu erkennen und bessere Entscheidungen zu treffen, das ist etwas, das im Alter zunimmt und was wir Jungen nicht mitbringen.“ Generationenübergreifend zu arbeiten sei wichtig, um gemeinsam weiser werden zu können, meint Bachinger. Ihr Ziel ist es, den Pensionären eine sinnvolle Tätigkeit zu geben. Gleichzeitig erhalten die Unternehmen Mitarbeiter mit viel Know-how und Erfahrung. „Wir wollen einen Marktplatz wie LinkedIn bauen, nur für Pensionisten, die in Teilzeit oder projektbasiert arbeiten möchten“, erklärt Bachinger. Der Plan geht auf. Pensionistinnen wie die 66-jährige Susanne Nebowitzky finden bei WisR einen Neuanfang: „Das Schöne an WisR ist, dass man nicht mehr nach Aufgaben suchen muss. Ich logge mich ein und schaue, welche offene Position zu meinen Fähigkeiten passt. Durch WisR kommt wieder Bewegung in mein Leben.“

Silver Ager bringen nicht nur Know-how in die Unternehmen, sondern auch die Fähigkeit, mit Veränderungen umzugehen.

Silver Ager bringen nicht nur Know-how in die Unternehmen, sondern auch die Fähigkeit, mit Veränderungen umzugehen.

Von Wertschätzung und -schöpfung

Nebowitzky ist bereits mit 52 Jahren in Pension gegangen. „Ich habe in einer Großbank gearbeitet. Es gab Umstrukturierungen und die Bank war froh, die Alten loszuwerden“, erinnert sich die lebensfrohe Pensionistin. Um aktiv zu bleiben, hat sie sich für ein „Enkel-Sharing“ mit einer Freundin entschieden, sie betreut ein kleines Kind als „Leihoma“. Seit gut einem halben Jahr arbeitet sie zudem für WisR und andere Unternehmen. „Wenn du in Pension gehst, fehlt dir das Gefühl, gebraucht zu werden. Auch der geregelte Tagesablauf fällt weg. WisR hilft mir, diese Dinge zurückzugewinnen“, erklärt Nebowitzky.

Um ihre Geschäftsidee zu testen, ist das WisR-Team in die Firmen gegangen und hat nach den Herausforderungen der Personalabteilung gefragt. „Die Personaler schauen verstärkt auf die Menschen und den ,Cultural Fit‘. Dabei spielt das Thema Diversität eine große Rolle“, erklärt Bachinger. Hinzu kommt, dass die Generation der Babyboomer bald in Pension geht und so eine große Personallücke entsteht. „Der Markt erfordert ein Umdenken, gleichzeitig wollen viele Pensionisten weiter arbeiten.“ Für Bachinger liegt darin die Chance für einen Sinneswandel. Denn die Unternehmen wüssten es zu schätzen, wenn eine Person freiwillig tätig sein will. Dann sei sie hochmotiviert. „Wir sehen jetzt schon Vorreiter am Markt. Unternehmen, die sich ihre Pensionisten zurückholen, weil ihnen sonst das Wissen, die Diversität und Erfahrung fehlen“, hat Bachinger beobachtet. „Ikea macht es vor. Hier teilen sich Pensionisten und Mütter eine Stelle. An so ein Modell würden andere Unternehmen im Traum nicht denken.“

Mit Veränderung umgehen

Dabei bringen die Silver Ager nicht nur Know-how in die Unternehmen, sondern auch die Fähigkeit, mit Veränderungen umzugehen. „Vieles wiederholt sich – auch gesellschaftlich. Die Älteren können besser abschätzen, welche Auswirkungen Entwicklungen haben, ob es ein kurzfristiger Trend ist oder eine längerfristige Veränderung“, weiß Bachinger. Diese Erfahrung macht auch Nebowitzky: „Es gibt bestimmte Dinge, die ich den Jüngeren mitgeben kann, die nichts mit dem Job zu tun haben. Das können zum Beispiel Erfahrungen mit Lebensentscheidungen sein.“

Pensionistinnen wie die 66-jährige Susanne Nebowitzky finden bei WisR einen Neuanfang.

Pensionistinnen wie die 66-jährige Susanne Nebowitzky finden bei WisR einen Neuanfang.

Noch gilt es, Überzeugungsarbeit zu leisten. „Es gibt immer noch wahnsinnig viele Vorurteile. Aber die Nachfrage steigt“, weiß Bachinger und hilft, wo sie kann: „Wir schauen gemeinsam, wo ein Projekt in den Unternehmen gestartet werden kann. So schaffen wir ein initiales Bewusstsein.“ Mittlerweile kommen auch immer mehr Unternehmen auf WisR zu und wollen kooperieren. „Die Tatsache, dass sich jetzt auch junge Menschen für dieses Thema einsetzen, macht es interessanter,“ sagt Bachinger. In den kommenden zehn Monaten will WisR das frische Investment von 250.000 Euro dazu nutzen, 10.000 Silver User und 30 Unternehmen in Österreich als Partner zu gewinnen.

Doch die Ambitionen der WisR-Gründer reichen über die Grenzen Österreichs hinaus. Das Konzept funktioniert auch im Ausland, ist Bachinger überzeugt. „Deutschland und die Schweiz werden wir uns schnell vornehmen. Im Mai haben wir uns auch schon die Märkte Korea und Japan angeschaut“, sagt sie. Bachinger wünscht sich für die nahe Zukunft unter anderem zwei Dinge: „Junge Menschen sollten ihre Eltern dabei unterstützen, auch im Alter beruflich aktiv zu sein und Wertschätzung zu erfahren – und sie beispielsweise bei WisR anmelden. Den Älteren sage ich: Traut euch, eure Erfahrung ist gefragt!“

Lesetipp: 
Was du beachten solltest, wenn du wärend der Pension weiterarbeitest liest du in unserm Artikel Dazuverdienen im Alter – Wo liegen die Grenzen