Mit seinen Holzofenbäckereien haucht Helmut Gragger traditionellem Handwerk neues Leben ein. Wir haben den Brot-Revoluzzer mit der sozialen Ader für ein Interview getroffen.

Helmut Gragger in der Backstube
Der Duft von frischen Semmeln erfüllt die Backstube, während Helmut Gragger die rot glühenden Kohlen in der Brennkammer schürt. „Der Holzofen strahlt die Wärme besonders sanft und gleichmäßig ab“, schwärmt er. „Das sorgt für eine knusprige Kruste und bewahrt die Feuchtigkeit im Teig.“ Selten trifft man den 50-Jährigen, der mittlerweile acht Filialen unter seinem Namen in Wien, Linz und Berlin betreibt, ohne Mehlstaub auf der Kleidung an.
In der Teigmischmaschine
Dabei hielt sich seine Begeisterung für den Beruf anfangs in Grenzen. Denn der junge Helmut litt in seiner Lehrzeit in Strobl am Wolfgangsee nicht nur unter dem frühen Aufstehen. Auch die rauen Sitten in der Backstube setzten ihm zu. „Die Gesellen steckten mich zur Begrüßung in die Teigmisch-Maschine“, erinnert er sich. „Ich habe damals oft ans Aufhören gedacht.“ Bis er verstand, dass der Job sein Ticket aus der dörflichen Enge bedeuten konnte. „Schließlich wird überall Brot gegessen“, lacht er. „Danach habe ich mich richtig ins Zeug gelegt.“
Bevor er die Meisterprüfung ablegte, ging Gragger auf Tour durch Österreich und Deutschland, um Berufserfahrung zu sammeln. Als das erste gemeinsame Kind mit seiner Frau Karin auf dem Weg war, heuerte er bei einem deutschen Lebensmittelkonzern an. „Ich hätte dort die Karriereleiter hoch klettern können“, meint er. „Aber etwas in mir sperrte sich gegen all die chemischen Backzusätze und die Gentechnik. Und ich bin jemand, der auf seinen Bauch hört.“
Neues Brot in alten Öfen

Brotlaibe aus dem Holzofen
Gragger wagt den Sprung in die Selbständigkeit und eröffnete 1997 gemeinsam mit seiner Frau die erste eigene Backstube in einer alten Mühle in Ansfelden bei Linz. Während Karin die Geschäfte führt, vertieft sich ihr Mann in das traditionelle Bäckerhandwerk. „In der Fabrik beaufsichtigt ein einzelner Arbeiter die maschinelle Produktion von 90.000 Semmeln in der Stunde. Ein geschickter Bäcker schafft in der gleichen Zeit 400“, erklärt er. „Da kannst du nur mit höchster Qualität dagegenhalten.“
Tag und Nacht tüftelt er damals an Rezepten, entlockt betagten Bäckermeistern ihre Geheimnisse und experimentiert mit rein biologischen Zutaten. Dabei wird ihm klar, dass er seine geplante Geschmacksrevolution nicht im Elektroofen starten kann. Kurzerhand baut er einen holzbetriebenen Backofen, der genau seinen Vorstellungen entspricht. Schließlich ist es so weit. Die ersten rustikalen Brote, Baguettes und Handsemmeln wandern ins Verkaufsregal. Nicht nur die Kundschaft ist dafür Feuer und Flamme – bald glüht auch Graggers Ofen rund um die Uhr. „Das wichtigste im Berufsleben ist Leidenschaft“, findet er, wenn er an diese Zeit zurückdenkt. „Wer aus Leidenschaft handelt, findet einen Weg.“
Rückschläge
Gemeinsam mit einem Investor will Gragger im Sommer 2007 die erste Holzofenbäckerei in der Wiener Innenstadt eröffnen. Doch die Behörden verweigern ihm die Zulassung, da es keine Richtlinien für den Einbau und den Betrieb des tonnenschweren Ofens gibt. 2008 folgt ein weiterer Rückschlag, als seine Bio-Bäckerei mit einem Shop-in-Shop-Konzept in Supermärkten in wirtschaftliche Schieflage gerät. „Obwohl ich rund um die Uhr geschuftet habe, konnte ich die zugesicherten Liefermengen nicht einhalten“, erzählt er. Schließlich muss er sogar Konkurs anmelden, um aus den Verträgen herauszukommen.
Die dunkelste Stunde des Helmut Gragger bricht an, als der Energieversorger den Strom und damit das Licht in seiner Backstube abdreht. „Ich habe mit der Stirnlampe weiter gebacken“, erinnert sich Gragger. „Zum Glück braucht ein Holzofen keinen Strom.“
Der Wendepunkt

Gragger-Bäckerei in der Wiener Spiegelgasse
Was hat ihm damals die Kraft gegeben, um weiterzumachen? „Die Familie und meine wundervollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zu mir gehalten haben, obwohl ich pleite war“, erinnert er sich. „Dafür bin ich bis heute sehr dankbar.“ Mit harter Arbeit und Ideenreichtum überwindet Gragger die Krise. Er setzt dabei verstärkt auf den Verkauf in eigenen Läden. Im 2010 kann Wiens erste Holzofenbäckerei schließlich doch noch ihre Tore öffnen. „Dieser Wendepunkt hat uns einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht. Von da an ging es mit dem Betrieb steil bergauf.“
Mit Handwerk helfen
Der findige Geschäftsmann verfügt auch über eine ausgeprägte soziale Ader. So ermöglicht er von Anfang an lernschwachen Jugendlichen eine Bäcker- und Konditorlehre in seinen Betrieben, bei der Rücksicht auf ihre Bedürfnisse genommen wird. Gemeinsam mit einem Partner geht er im Jahr 2019 einen Schritt weiter und gründet eine Social Business Bäckerei im Wiener Nordbahnviertel, deren Gewinne zu hundert Prozent in Bildungsprojekte fließen. Hier erhalten Menschen, die sozial benachteiligt sind, eine zweite oder dritte Chance auf eine Berufsausbildung. Gragger begrüßt jede Mitarbeiterin und jeden Mitarbeiter mit Vornamen, während er uns durch den gemütlichen Verkaufsraum und die Backstube führt. Er ist sichtlich stolz auf die Leistungen der Nachwuchsbäcker, die hier Teig anrühren, Brote formen und Vanillekipferl in den Ofen schieben. Fast alle schaffen ihren Abschluss und finden eine gute Anstellung. Und Graggers Vision, die Welt mit Handwerk zu einem besseren Ort zu machen, beschränkt sich nicht auf Wien.
Global denken, lokal handeln
Seit 2015 engagiert er sich auch in Entwicklungsländern wie Uganda, dem Kongo und im Senegal. Dort drängen hohe Energiepreise und das Preisdumping von internationalen Lebensmittelkonzernen viele Kleinbäcker aus dem Markt. Das gefährdet die Versorgungssicherheit in entlegenen Regionen, zerstört Arbeitsplätze und schafft wirtschaftliche Abhängigkeit.
Mit lokal gemanagten Mikrobäckereien zeigt Gragger eine Alternative zur zentralisierten Brotherstellung auf. Dabei setzt er auf Low-Tech, regionale Ressourcenkreisläufe und Eigenverantwortung. Die Grundlage bilden eigens zu diesem Zweck konstruierte Backöfen, die er in Österreich herstellt und nach Afrika verschifft. Die wartungsarmen Geräte reduzieren den Kostenfaktor Energie durch das Verbrennen von örtlich verfügbaren Materialien wie gepressten Palmblättern und Getreideabfällen. „Das macht unsere Backprodukte nicht nur frischer, sondern auch günstiger als das Brot der Konzerne, da bei uns keine Transport- und Logistikosten anfallen“, erklärt Gragger.
Clevere Frauen
Auch weil die Gewinne des Projekts in die Förderung von Schulen fließen, hält er es für entscheidend, dass die Mikrobäckereien wettbewerbsfähig sind. „Die Menschen vor Ort wollen Arbeit und keine Almosen“, meint er. „Besonders seit wir die Leitung der Bäckereien in die Hand von Frauen legen, erhöht sich die Produktivität spürbar. Die Frauen wirtschaften clever und nachhaltig, damit eines Tages die Kinder davon profitieren.“
Große Pläne
Und was hat Gragger als nächstes vor? „In Nigeria und im Senegal eröffnen wir im Jahr 2022 Ausbildungsbetriebe, aus der die zukünftigen Geschäftsführer der Mikrobäckereien hervorgehen werden. Dafür sprechen wir gezielt benachteiligte Bevölkerungsgruppen und Menschen mit Beeinträchtigungen an, um ihnen eine neue Perspektive zu geben“, erzählt er. „In den nächsten drei Jahren wollen wir auf diese Weise sechzig Betriebe und damit hunderte Arbeitsplätze schaffen.“
Helmut Gragger wird es also nicht langweilig werden. Bis dahin gönnen wir uns eines der handgemachten Vanillekipferl, die gerade aus dem Ofen kommen. Sie wurden vor kurzem zu den besten der Stadt gekürt. Zurecht, wie wir finden.
Du willst mehr über die Mikrobäckereien erfahren? Hier geht es zu Helmut Graggers Crowdfunding-Kampagne.
Wir freuen uns über deine Meinung
Neuen Kommentar schreiben
Anmelden
Registrieren Sie sich für einen Account
Registrierung
Melden Sie sich mit Ihrem Account an