Der Pionier des ökologischen Bauens

Georg W. Reinberg denkt an die Zukunft. Und daran, wie er sie als Architekt gestalten kann: Im ökologischen Bauen gilt er als Pionier. Für MEIN LEBEN stand er uns für ein spannendes Interview Rede und Antwort.

Der Architekt Georg W. Reinberg gilt als Pionier und Vordenker des ökologischen Bauens und der Solararchitektur. Zahlreiche Forschungsprojekte, Bauten und Publikationen zum Thema Architektur und Ökologie zeugen von seinem umfassenden Schaffen. Mit „Architektur für eine solare Zukunft“ veröffentlichte der Birkhäuser Verlag nun eine Werkschau einer inspirierenden und vielfach preisgekrönten Persönlichkeit. 

 

Ausgenommen Ihrer eigenen Gebäude, haben Sie ein Lieblingsgebäude?

Ich habe viele Lieblingsgebäude, nicht nur eines. Da gibt es natürlich viele historische Gebäude, angefangen beim Pantheon in Rom bis zu Bauten von Josef Frank oder Otto Wagner. Bauten von Lina Bo Bardi sind für mich vorbildhaft und ich bewundere natürlich auch viele ganz neue Gebäude, wie z. B. von Shigeru Ban.

Solararchitektur in höchster Form

Solararchitektur in höchster Form

Gemäß Ihrer Website verfolgen Sie „ein Konzept, das die Begrenztheit der Ressourcen erkennt“. Was meinen Sie damit?

Man sagt „Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung“. Das gilt auch für unsere Umwelt. Wir sind hier, gerade im Baubereich, in einer Sackgasse, wie man am damit verursachten Klimawandel erkennen kann. Daher will ich sorgfältiger mit dem umgehen, was wir zur Verfügung haben, auch im Baubereich. Und ich denke, wir können damit sehr viel Lebensqualität und Komfort gewinnen, wenn wir nicht mehr im Müll fast ersticken.

Ihr Ziel ist, dass Bauten im Einklang mit der Ökologie stehen sollen. Gibt es dafür „universelle Formeln“ oder muss bei jedem Bau neu betrachtet werden, wie man diesen Einklang bzw. diese Vereinbarkeit herstellen kann?

Es gibt dafür sowohl generelle Formeln als auch spezifische. Da jeder Bau ein Unikat darstellt, es ist ja immer ein anderer Ort, ein anderer Nutzer usw., muss jedes Gebäude auch im Einzelnen betrachtet werden.

Ziele, aus denen universelle Formeln abgeleitet werden können, sind beispielsweise die „17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung“, wie sie in der Agenda 2030 der Vereinten Nationen als Sustainable Development Goals formuliert wurden

Und auf ein einzelnes Gebäude bezogen?

Im Baubereich sollte im Einzelnen darauf geschaut werden, wie der gesamte „Lebenszyklus“ des Gebäudes aussieht: von der Planung über den Betrieb des Gebäudes bis zum Recycling.

 

Georg W. Reinberg, österreichischer Architekt, lebt und arbeitet in Wien

Georg W. Reinberg, österreichischer Architekt, lebt und arbeitet in Wien

 

Letztlich sollte die Umwelt gar nicht bzw. nicht mehr belastet werden, als die Umwelt tatsächlich wieder erneuern kann. Wir sollten also viel sorgfältiger planen, nur Baustoffe verwenden, die ausreichend vorhanden sind und die Umwelt entlasten und nicht belasten. Wie etwa Lehm, Stroh und dergleichen.

Das Gebäude sollte so wenig wie möglich Energie verbrauchen, um es zu nutzen und zu klimatisieren. Stichwort Passivhauskonzept. Und wenn der Energiebedarf sehr reduziert ist, das Gebäude also sehr effektiv ist, so wird es möglich diesen leicht mit den Ressourcen, die wir vor Ort verfügbar haben, zu decken. Wie Sonnenenergie, Windenergie, Kühle und Wärme aus dem Erdreich und so weiter.

 

Nicht zuletzt muss das Gebäude auch zu einem Teil der Kreislaufwirtschaft werden und zerleg- und recycelbar sein. Letztlich kann die Architektur sogar eine regenerative Rolle für die Umwelt übernehmen.

Für alle diese Ziele stehen uns heute schon gute Möglichkeiten zur Verfügung. Wir müssen sie nur nutzen. Wir haben heute auch zahlreiche Zertifizierungsmöglichkeiten, mit denen wir die Ergebnisse darstellen können.

Bei einem Gebäude und der jeweiligen speziellen Situation sind die Lösungen aber jeweils sehr spezifisch umzusetzen. Dafür braucht es eine gesamtheitliche Sicht und auch ein gutes Verständnis für die jeweils spezielle Situation. Ich kann nur empfehlen, Fachleute dafür zu engagieren. Im Baubereich sind das die Architekten.

Warum haben Sie sich diesem ökologiebewussten Ansatz verschrieben?

Weil ich gerne in einer gesunden und schönen Umwelt lebe. Und weil ich Kinder und Enkelkinder habe und ihnen nicht die Zukunft stehlen will. Und ganz sicher auch, weil mich neue Lösungen und die entsprechende Entwicklung in der Architektur faszinieren. An der Lösung der gegebenen Umweltprobleme mitzuarbeiten ist doch eine wunderbare Lebensaufgabe.

Wie definiert sich Solararchitektur?

Eine allgemeingültige Definition ist mir nicht bekannt. In den 1980er-Jahren stand der Begriff für die Entdeckung, oder Wiederentdeckung, der Nutzung der Sonnenergie für unsere Häuser. Heute ist für mich der Begriff „Solararchitektur“ ein Überbegriff für eine Haltung im Bauen und für eine Architektur, die dafürsteht, dass wir mit den Ressourcen, die wir haben, die durchwegs von der Sonne kommen, sehr gut leben können. Die Sonne steht für mich auch für Leben und Lebensfreude. Für diese positive Sicht steht „Solararchitektur“.

Wir alle kennen die großen Baustile wie Romanik, Gotik, Barock etc., wird sich die Solararchitektur als große Bauepoche in diese Reihe eingliedern?

Ja, ich hoffe schon. Die genannten, damals jeweils neuen Baustile entwickelten sich jeweils aus einer neuen Sicht der Welt, neuen Bautechniken, neuen sozialen Gegebenheiten u. s. w. All diese sind heute wieder in großer Veränderung. Solararchitektur hat dafür entsprechende Lösungen. Ich denke, das verändert tatsächlich auch den Baustil und kann sich nicht auf oberflächliche Formalismen beschränken. Wenn es uns gelingt, die Klimakatastrophe stoppen (wofür die Architektur sicher eine wichtige Rolle spielt) und wir weiterhin gut leben können, so wird das sicherlich eine großartige Epoche, die auch ihren Baustil haben sollte.

Was kann jeder bei seinem Haus tun, damit er ökologischer und mehr entsprechend der Solararchitektur wohnt?

Jeder kann einen guten (Solar-)Architekten engagieren. Die Chance, dann ökologischer, schöner und kostengünstiger zu leben, ist sehr hoch.

Shandiz Mashad Iran

Shandiz Mashad Iran

Sehr beeindruckend fand ich Ihre Bauten im Iran, vor allem das Projekt „Shandiz Mahad“. Welche besonderen Herausforderungen stellen sich in einem Land wie dem Iran hinsichtlich ökologischen Bauens?

Wir finden in diesem Klima natürlich sehr gute Bedingungen. Die Sonne scheint ganzjährig und reichhaltig. Damit können unsere Bauten leicht und gut versorgt werden. Die Rahmenbedingungen sind aber manchmal nicht einfach. Abrupte politische Wechsel können beispielsweise leicht ein Projekt zu Fall bringen. Für mich ist aber der Ansatz, klimagerecht zu planen und eine andere Kultur kennenzulernen und auch darin zu leben und zu arbeiten, immer wieder faszinierend und bereichert meine Arbeit und mein Leben. Ich hoffe damit auch zu einer ökologischen Entwicklung in den jeweiligen Ländern, wo ich plane, beitragen zu können. Die Menschen im Iran schätze und achte ich jedenfalls sehr.

Was wünschen Sie sich für die zukünftige Entwicklung der Architektur?

Das ergibt sich, denke ich, aus dem zuvor gesagten: Ich wünsche mir eine „Blüte der Solararchitektur“ in Österreich und in der Vielfalt der unterschiedlichen Klimas.

Ihr Schaffen umfasst Wohngebäude, eine umgebaute Scheune, Kindergärten u. v. m., welche Art an Gebäuden kreieren Sie am liebsten?

Das spannende in meiner Arbeit ist das Hineinleben in immer wieder unterschiedliche Welten der unterschiedlichen Bauaufgaben. Das ist oft wie eine spannende Entdeckungsreise. Daher habe ich keine „Lieblingsbauaufgabe“. Da ich Wohnbau und klimagerechtes Bauen am FH Campus Wien (green building) unterrichte, spielen diese Bereiche natürlich eine besonders bedeutende Rolle. Aber mich begeistert eben auch die Vielfältigkeit meines Berufes mit all den unterschiedlichen Bauaufgaben vom kleinen Einfamilienhaus bis auch zu großen Bauten.

Hotel Academy in Teheran (in Planung)

Hotel Academy in Teheran (in Planung)

Sie leben in Wien: Welche „Bausünde“ ärgert Sie hier aktuell?

Da es viele Bausünden in Wien gibt, kann ich keine nennen, die mich ganz besonders ärgert. Oft ärgere ich mich auch über ganz praktische, kleine Dinge. Da ich fast täglich durch den Westbahnhof gehe, ärgere ich mich jedes Mal, dass es auf meinem Weg zwischen Eingang und Bahnsteig keine einzige Tafel gibt, die mir sagt, wann und wo mein Zug abfährt. Auch fehlt im ganzen Gebäude die Bahnhofsuhr und ich weiß jedes Mal nicht, wie knapp es ist und ob ich den Zug noch erreiche. Und wenn ich mit der U-Bahn komme, ist es auch nicht besser: nur eine einzige Anzeige, noch dazu im U-Bahnbereich, die aber falsch, nämlich parallel zur Gehrichtung, montiert ist, informiert mich über meinen Zug. Wenn ich dort vorbei bin, gibt’s wieder keine einzige Zuginformation auf meinem Weg zum Bahnsteig.

Und die bestehenden Bauten am Westbahnhof sind auch unglücklich positioniert, der schwebende Teil an der Ecke Gürtel – Mariahilfer Straße ist überhaupt nur lächerlich. Aber es gibt natürlich auch viele Bauten im Wiener Speckgürtel, die wirkliche Bausünden darstellen.

Zum Abschluss eine Frage zur Urlaubszeit. Als Architekt gehen Sie vermutlich mit ganz anderen Augen durch die Stadt. Welche europäische Stadt gefällt Ihnen am besten?

Da ich an einigen europäischen Forschungsprojekten mit vielen Partnern beteiligt bin und auch immer wieder in anderen Städten unterrichte, bin ich, oder war ich vor der Corona-Pandemie, auch viel in Europa unterwegs. Besonders gefallen hat mir zuletzt Porto mit seiner besonders interessanten Topografie. Mir gefällt aber auch Kopenhagen in seiner Modernität. Mir hat es gut in Lyon gefallen oder zuletzt in Basel, aber ich bin auch gern in Wien oder Florenz und vielen anderen Städten.

Aber jetzt laufe ich Gefahr, noch lange weiter Lieblingsstädte aufzulisten. Es gibt eben sehr viele sehr schöne Städte in Europa.