Würmer for Future

Das Wiener Start-up Zirp Insects will Würmer und Grillen als neuen Superfood etablieren – und nebenbei ein bisschen die Welt retten.

Zirp-Gründer Christoph Thomann
© Dominik_Geider

Zirp-Gründer Christoph Thomann

Die Falafel schmeckt nussig. Sind ja auch Buffalowürmer drin. Und die herbe Selleriecremesuppe verführt mit einem honigsüßen Abgang. Die Bienendrohnenlarven halten, was sie versprechen. Wer den Foodtrend der Zukunft verkosten möchte, kommt an diesen Kreationen nicht vorbei: Ganz gleich, ob es sich um simple Insektenburger handelt, Haferlaibchen mit Mehlwurmpulver, Salzheuschrecken auf Tatar von der Roten Rübe, Heimchen-Gemüse Rösti mit Hummus oder Buffalowurm-Karamell-Schmarrn mit Birnenmus – Insekten liefern wertvolle Proteine, und wer sie verzehrt, schont Umwelt und Klima.

Die erste Heuschrecke

Proteingehalt bis zu 70 Prozent: frittierte Heimchen, auch Hausgrille genannt

Proteingehalt bis zu 70 Prozent: frittierte Heimchen, auch Hausgrille genannt

„Insekten sind das Essen der Zukunft.“ Diesen Satz hat Christoph Thomann in den letzten zehn Jahren sehr häufig gesagt. Im Jahr 2011 hatte der eben fertig studierte Gesundheitsmanager einen UN-Report zum Thema Ernährung in die Hand bekommen. Was darin stand, gab dem Leben des jungen Mannes eine neue Richtung: Die Menschen in Europa müssten langfristig ihre Ernährung ändern, hieß es dort. Zu viel Fleischkonsum schadet nicht nur der menschlichen Gesundheit, sondern auch Umwelt und Klima. Eine mögliche Alternative zu Rind, Schwein und Huhn: Insekten. Das Thema ließ Thormann nicht mehr los. Seine erste Heuschrecke probierte er nicht in Thailand oder Senegal, sondern in einem Wiener Feinkostladen: „Und sie schmeckte super, fast wie Hühnchen.“ Noch im selben Jahr, 2011, begann Thomann, in der eigenen Küche Mehlwürmer auf Haushaltsabfällen zu züchten. 2017 war es dann soweit. In Wien gründete Thomann zunächst als Einzelunternehmen, dann mit drei weiteren Gesellschaftern, ein Start-up für Nahrung aus Insekten. Mit dem Namen ihrer Firma verweisen die vier humorvoll auf die Grillen, die sie eintüten: Zirp Insects.

Die ersten Produkte sind vier Sorten Snacks aus getrockneten, ungewürzten Insekten „am Stück“ – so lebensecht, dass man am Mehlwurm noch die sechs Beine zählen kann. 2019 stieg der Salzburger Hersteller von Mikronährstoffen und Nahrungsergänzungsmitteln, Biogena, als strategischer Investor ein. Seitdem firmiert Zirp als GmbH, die ihre Produktpalette beständig ausbaut. Ende dieses Jahres will das Start-up mehr als zehn Mitarbeiter beschäftigen.

Würmer mit EU-Zulassung

In Asien ein beliebter Snack: Würmer

In Asien ein beliebter Snack: Würmer

„Insekten sind ein großes Zukunftsthema, weltweit“, bestätigt die Wiener Ernährungsexpertin und Trendforscherin Hanni Rützler. Rützler hat in ihrem Future Food Studio bereits Insekten-Kochkurse angeboten und fungiert als Botschafterin und Beraterin des zirpenden Start-ups. Aktuelle Entwicklungen geben ihr recht. So hat die Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) erst im Mai 2021 getrocknete gelbe Mehlwürmer als Lebensmittel zugelassen. Auf eine Anfrage der Salzburger Nachrichten teilt die ESFA mit, sie bearbeite 16 weitere Anträge für Nahrungsmittel aus Insekten, darunter von Zirp-Lieferanten aus Kärnten und den Niederlanden.

Die Zirp-Produkte fallen unter eine Sonderregelung der EU: Alle Produkte, die schon vor 2017 auf dem Markt waren, dürfen auch während der jetzt laufenden Prüfverfahren weiterverkauft werden. „Das ist noch eine gewisse Grauzone“, sagt Thomann. Verständnis hat er dafür naturgemäß wenig: „Warum sollte man keine Insekten essen dürfen? Das haben Menschen doch schon immer getan“.

Das sieht auch Ernährungsexpertin Rützler so: „Wir essen Garnelen, also ist der Sprung zu Heuschrecken nicht so groß“, erläutert die Wienerin, „aus ökologischen und ernährungsphysiologischen Gründen spricht einiges für den Konsum von Insekten.“

Weniger CO2, mehr Proteine

Offizielle Zahlen dazu liefert zum Beispiel das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Demnach haben Insekten eine hohe „Futterverwertungseffizienz“. Zum Beispiel Grillen. Die sprunghaften Heuschrecken verbrauchen für ein Kilogramm essbarer Biomasse zwölfmal weniger Futter und beinahe zehnmal weniger Wasser als Rinder. Sie sind zu 80 Prozent essbar, während vom Rind weniger als die Hälfte des Körpers essbar ist. Pro Kilogramm Körpergewicht stoßen Grillen zudem bis zu 100 Mal weniger CO2 aus als Kühe, rechnet der „Fleischatlas 2018“ vor, eine gemeinsame Veröffentlichung vom Bund Umwelt- und Naturschutz Deutschland), der Böll-Stiftung und Le Monde Diplomatique. Die Rechnung ist dabei allerdings für jedes Insekt anders, gibt Maria Benedikt zu bedenken. In den Salzburger Nachrichten erinnerte die leitende Diätologin des Salzburger Uniklinikums daran, dass man etwa für ein Kilo Mehlwürmer fast genauso viel Futter braucht wie für ein Kilo Huhn. Christoph Thomann von Zirp ficht das nicht an. Schließlich könne man den Würmern – anders als einem Huhn – quasi alles zu fressen geben, auch Abfälle, um daraus wertvolle Proteine zu gewinnen.

Das Start-up wirbt unter anderem mit dem hohen Proteingehalt, der die Insektennahrung für Sportler attraktiv machen kann: „Insekten haben einen hochwertigen Proteinanteil von bis zu 70 Prozent, bestehend aus allen Aminosäuren.“ Den erreichen getrocknete Heimchen. Buffalowürmer und Mehlwürmer hingegen haben nur einen ähnlichen Eiweißgehalt wie Rind oder Hühnchen. Entscheidend sei jedoch die Qualität des Proteins, betont Thomann: „Der Mensch braucht tierische Proteine. Aber wenn zu viele davon von Säugetieren stammen, ernährt er sich nicht artgerecht.“ Der gelernte Gesundheitsmanager ist überzeugt: „Proteine aus Säugetieren sind unseren eigenen Körperbausteinen viel zu ähnlich und daher schwer zu verstoffwechseln. Da beginnt unser Körper irgendwann, zu rebellieren und reagiert mit Entzündungen.“ Insekten essen ist also gesund.

Insekten auf dem Markt

Der Inhalt ist mal mehr mal weniger offensichtlich: Zirp-Produkte

Der Inhalt ist mal mehr mal weniger offensichtlich: Zirp-Produkte

Die Wanderheuschrecken, Mehlwürmer, Heimchen und Buffalowürmer von Zirp Insects gibt es getrocknet und ungewürzt nicht nur in verschiedenen Online-Shops, sondern auch im Wiener Verkostungslokal Tastery, dem Outdoor-Laden Steinadler an der Wiener Nordbahnstraße, dem Sägewerk am Alsergrund oder im Crossfields-Pub bei der Albertina. Vor der Pandemie hatten auch einige Supermärkte die essbaren Krabbler gelistet. Dann sorgte Corona für einen argen Dämpfer. Mit mehreren Supermarktketten sei man nun wieder in Verhandlung.

Zirps Zielgruppe sind nachhaltig orientierte Konsumenten – darunter interessanterweise auch Vegetarier und Veganer. „Insekten haben nach heutigem Wissensstand kein ausgebildetes Nervensystem, kein Schmerzempfinden“, sagt Thomann. Außerdem brauche es zu ihrer Aufzucht keine Antibiotika oder ähnliches. Mit solchen Argumenten habe er auf Messen „fünf von zehn Veganern“ überzeugen können, Insekten zu probieren, berichtet er. Die weltgrößte Tierschutzorganisation Peta ist dagegen anderer Ansicht. „Insekten empfinden Schmerzen ähnlich wie wir“, lautet eine aktuelle Position. Sie lehnt auch den Verzehr von Insekten grundsätzlich ab.

Öko- und gesundheitsbewussten Esser, die solche Sorgen nicht plagen, versorgt Zirp Insects mit immer neuen Produktideen. „7 days for future“ heißt eine Box mit sieben Fertigmischungen für Suppe, Falafel, Risotto, Haferlaibchen, Brot und Brownies. Sie enthalten alle Insektenmehl, ebenso wie die Zirp-Proteinriegel oder der ganz neue „Eat For Future Burger“ mit 38 Prozent gemahlenen Buffalowürmern. Anders als die Heimchen- und Mehlwürmer-Snack-Tüten enthalten die neuen Produkte keine vollständigen Insekten mehr und zeigen diese auch nicht auf der Tüte. Denn wenn es im Kopf nicht mehr kreucht und fleucht, fällt auch der Griff ins Regal leichter.